: Klüngel-Quantifizierung
BESTANDSAUFNAHME Als erste deutsche Kommune hat Köln sein interkulturelles Kulturleben empirisch untersuchen lassen
VON HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN
„Die Gesellschaft ist schon multikulturell, das Theater ist erst auf dem Weg dahin“, sagte die die Regisseurin Sahir Amini kürzlich in einer Diskussion beim Theaterfestival „Westwind“ in Köln. Zu den schönsten Illusionen im Kulturbetrieb gehört vielleicht die vom Künstler als dem Seismografen oder Kritiker der Gesellschaft. Zumindest was das Feld der Interkultur anbetrifft, ist das eine Illusion.
Als erste Kommune bundesweit hat nun die Stadt Köln in einer Studie ihr internationales und interkulturelles Kulturangebot einer wissenschaftlichen Musterung unterzogen. Anlass ist die vom Rat der Stadt beschlossene Gründung einer „Akademie der Künste der Welt“, die internationale Künstler und Gelehrte versammeln, Kunstprojekte anstoßen und Veranstaltungen auf die Beine stellen soll. Die Stadt erwartete von der Studie, die Susanne Keuchel und Dominic Larue vom Zentrum zur Kulturforschung in St. Augustin erstellt haben, eine städtische Programmanalyse und Empfehlungen für die Akademie. Insgesamt flossen 4.839 interkulturelle Veranstaltungen, von Gastspielen über Künstlerkooperationen bis zum Bildungsangebot, in die Untersuchung ein; vertiefend wurden Gespräche mit Migrantenkulturvereinen und ausgewählten Kulturakteuren wie dem Orientalisten und Schriftsteller Navid Kermani geführt.
Die Studie verfährt nach einem quantifizierenden Ansatz und das wirft viele Fragen auf. Da wird festgestellt, dass 31 Prozent des gesamten Kölner Kulturangebots als interkulturell zu klassifizieren sind, wovon wiederum 84 Prozent aus Europa und dem angloamerikanischen Raum kommen: Das hieße, dass die Herkunftsländer deutscher Migranten damit unterrepräsentiert seien. Doch die Korrelation zwischen Wanderungsbewegungen künstlerischer Produkte und der von Menschen war schon vor der Globalisierung eine Illusion: Das zeigt etwa die große Präsenz der US-Kultur in Deutschland nach 1945, die wenig mit amerikanischen Einwanderern zu tun hatte. Zudem sind Film, Musik und auch bildende Kunst in ein globales Marktgeschehen eingebunden, das sich um migrantische Repräsentanz nicht schert.
Auch ohne den europäisch-angloamerikanischen Raum dominieren laut Studie im interkulturellen Programmangebot die Kunstsparten Musik sowie Film, Video und Fotografie. Selbstkritisch verweisen die Verfasser darauf, dass das Quantifizieren hier an seine Grenzen stößt: Der Vergleich einer Ausstellung mit täglich wechselnden Musik- oder Kinoprogrammen ist kaum noch aussagekräftig. Dass beim Film angloamerikanische, bei der Literatur eher türkische Künstler dominieren sollen, sagt vielleicht mehr über kulturelle Traditionen der Herkunftsländer aus als über hiesige kulturelle Praktiken. Letztlich ist zu fragen, ob diese nationale Erbsenzählerei der Kunst nicht a priori dem Konzept von Interkultur widerspricht.
Am überzeugendsten gelingt die Analyse der Migrantenkulturvereine, in deren Angebot Vorträge, Musik- und Tanzveranstaltungen mit Schwerpunkt auf „traditioneller Kunst“, also Folklore, dominieren. Die Akteure äußern sich zufrieden zum städtischen Kulturangebot, bemängeln aber, dass es „nicht wirklich erstklassig“ sei und zu wenige Kulturangebote aus den eigenen Herkunftsländern ausweist. Man wünscht sich eine stärkere Durchmischung der Zuschauer. Doch wer sieht hier eigentlich was? Hier müsste eine Analyse der migrantischen Besucherströme ansetzen.
Letztlich bleibt die Studie eine Vorstufe zu einer qualitativen Untersuchung. Das hat offenbar auch Kölns Kulturdezernent Georg Quander erkannt und Ergänzungen angeregt. Die Vorschläge für das Programm der Akademie der Künste der Welt bleiben zwiespältig. Zwar wird ein hohes künstlerisches und diskurstheoretisches Niveau empfohlen, doch der Wunsch nach mehr Repräsentanz der Herkunftsländer der Migranten läuft eigentlich dem freien Akademiegedanken zuwider.
■ Susanne Keuchel, Dominic Larue: „Kulturwelten in Köln. Eine empirische Analyse des Kulturangebots mit Fokus auf Internationalität und Interkulturalität“. ARCult Media, Köln 2011, 96 Seiten