: Wer geht, wer kommt?
Olmert, Peretz, Livni – Israels politische Klasse ist gefangen in den Folgen des Libanonkrieges
AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL
„Er wird wohl beide Posten einnehmen“, scherzt ein Journalist im israelischen Morgenfernsehen: den des Präsidenten und den des Premierministers. Gemeint ist Schimon Peres, Israels dienstältester Politiker, der seit gestern wieder ernsthaft im Gespräch für das höchste Regierungsamt ist, zusammen mit Außenministerin Zipi Livni. Die Tage von Ministerpräsident Ehud Olmert, daran hegt kaum noch jemand Zweifel, sind nach Veröffentlichung des Winograd-Berichts mindestens so gezählt, wie die von Präsident Mosche Katzav, der demnächst wegen wiederholter Vergewaltigung vor Gericht zitiert werden wird.
Nach den Rücktrittsrufen aus der Opposition und seitens des Koalitionspartners Arbeitspartei drängt die eigene Kadima den Chef, sich zu verabschieden. Doch Olmert kämpft um sein politisches Überleben. Um den innerparteilichen Aufstand zu verhindern, berief er gestern Abend erneut die Kadima zu einer Sondersitzung ein. Er erwäge, den Koalitionsvorsitzenden Avigdor Jitzhaki abzusetzen, verlautete schon am Vormittag aus seinem Umfeld. Kadima-Mitbegründer Jitzhaki gilt als der Rädelsführer. Er appellierte an Olmert, seinen Stuhl zu räumen, damit die Partei ihr Regierungsmandat in den kommenden drei Jahren fortsetzen könne.
Jitzhaki abzusetzen wird nicht nötig sein. Der Koalitionsvorsitzende will selbst den Hut nehmen, sollte Olmert sich dem Druck weiter widersetzen. Ähnlich wie der Koalitionschef zeigt sich auch Außenministerin Livni zunehmend ungehalten über den Starrsinn des Chefs. Die knapp 50-jährige Politikerin gilt neben Peres als aussichtsreichste Erbin. Ihr Rücktritt könnte ihr zusätzliche Sympathien verschaffen und ihre Chancen auf das höchste Regierungsamt steigern.
Tagelang verweigerte Livni jede Stellungnahme zum Untersuchungsbericht und erweckte damit den Verdacht bei Olmert, sie intrigiere gegen ihn. Was ihre Parteifreunde fürchten, ist vor allem Livnis Unerfahrenheit, ein Wort, das besonders nach Veröffentlichung des Winograd-Berichts schwer wiegt. Die Untersuchungskommission machte Olmert und Verteidigungsminister Amir Peretz ihre „verantwortungslos, übereilt und unvorsichtig“ getroffenen Entscheidungen zum Vorwurf. Beide Politiker hatten es trotz mangelnder Erfahrung versäumt, sich mit Experten zu beraten.
Wohnungs- und Bauminister Meir Schitrit findet, dass die Kadima mit parteiinternen Wahlen über die Nachfolgefrage entscheiden sollte, bei denen er sich selbst die größten Chancen einräumt. Wer von den Kandidaten auch immer das Erbe antritt, die Möglichkeit, dass die Kadima einen anderen Premierminister stellt und die Koalition an der Regierung bleibt, ist derzeit die wahrscheinlichste.
Neuwahlen werden zwar von etwa der Hälfte der Bevölkerung präferiert, im Abgeordnetenhaus und im Kabinett will sie, vom Likud abgesehen, aber niemand. Oppositionsführer Benjamin Netanjahu genießt derzeit die größten Sympathien im Volk, was mit ein Grund für den frischgebackenen muslimischen Sport- und Kulturminister Rajeb Majadle war, eiligst festzuhalten, dass „keine Regierung die Empfehlungen der Winograd-Kommission besser umsetzen kann als die jetzige“.
Eine dritte Option wäre, dass es Olmert trotz der widrigen Umstände gelingt, sich doch noch bis zur Veröffentlichung des kompletten Winograd-Berichts im Sommer zu halten, was allerdings nur möglich ist, wenn die Arbeitspartei zu ihm steht. Doch auch in den Reihen des Koalitionspartners brodelt die Kritik am Chef Amir Peretz, der noch am Montag seine „zur Mäßigung anhaltende“ Rolle während des Krieges hervorzuheben versuchte. Der Untersuchungsbericht hält fest, dass Peretz „als Verteidigungsminister versagte“ und es dadurch der Regierung erschwerte, sich den Herausforderungen zu stellen. Peretz hingegen glaubt, dass sein Mangel an Erfahrungen, den ihm die Untersuchungskommission vorwirft, „ein Vorteil, kein Hindernis“ gewesen sei.
Schon am Dienstag war Peretz’ Parteifreund Eitan Kabel von seinem Ministerposten zurückgetreten. Abgeordnete der Arbeitspartei riefen dazu auf, das Koalitionsbündnis zu beenden. Spätestens nächste Woche wird der Parteitag darüber entscheiden müssen. Für Peretz, der seit gestern doch einen Rücktritt erwägt, tickt die Uhr ohnehin. Ende Mai sind parteiinterne Vorstandswahlen. Dann rückt entweder Expremierminister Ehud Barak an seine Stelle oder der friedensbewegte ehemalige Nachrichtenchef Ami Ajalon.