: Keine Lust auf Olympia
OLYMPIA-BEWERBUNG Ein Lehrbeispiel: Im norwegischen Oslo will man nicht mehr, was mancher in Berlin gerne hätte – die Spiele
■ Nicht nur die Regierungskoalition, sondern auch Teile der Grünen und Piraten unterstützen eine Bewerbung Berlins für die Olympischen Sommerspiele 2024. Eine entsprechende Resolution des Abgeordnetenhaus steht jedoch aus, da es in strittigen Punkten wie etwa dem Verfahren zur Bürgerbeteiligung bisher keine Einigung gibt. Die Opposition fordert eine Volksbefragung zur grundsätzlichen Entscheidung über die Bewerbung. In der Online-Umfrage des Senats, deren zweite Runde Ende September begonnen hat, geht es jedoch nur um die Ausrichtung der Spiele.
■ Eine Aussage über die Gesamtkosten der Spiele gibt es bisher nicht. Der sogenannte Kostenrahmen von 2,2 Milliarden Euro gilt nur für Trainings- und Wettkampfstätten. Kosten für alle anderen Posten wie etwa das Olympische Dorf sind nicht mit eingerechnet.
■ Gegen die Spiele macht das Bündnis „NOlympia“ mobil, in dem sich die Berliner Linkspartei sowie Naturschutzverbände und Bürgerinitiativen organisieren.
VON REINHARD WOLFF
Da waren’s nur noch zwei. Nachdem zuvor schon Graubünden, München, Stockholm, Krakau und Lemberg abgesprungen waren, zog in der vergangenen Woche auch Oslo seine Bewerbung für die Olympischen Winterspiele 2022 zurück. Übrig geblieben sind jetzt nur noch die kasachische Hauptstadt Almaty und Peking.
„Enttäuschend“ fand das IOC-Präsident Thomas Bach, und das ist nicht verwunderlich. Denn das Vorhaben scheiterte an einer erdrückenden Mehrheit der Bevölkerung. Und wenn schon die wahrlich wintersportverrückten NorwegerInnen die Spiele nicht mehr haben wollen, die noch dazu mit Lillehammer 1994 schon einmal hochgelobte, erfolgreiche und von großer nationaler Begeisterung getragene Winterspiele veranstaltet hatten – wie können sich dann Berlin und Hamburg trauen, so eine Veranstaltung auch nur ins Auge zu fassen?
Sotschi sei schuld gewesen, meint Inge Andersen, Generalsekretär des norwegischen Sportverbands: Die dortige Gigantomanie habe die Norweger erschreckt. Doch das ist allenfalls die halbe Wahrheit. Schon seit Sommer 2013 hatte es eine stabile Nein-Mehrheit gegen die Bewerbung gegeben, und das Sotschi-Beispiel war neben einer Umweltschutz-Debatte und der Frage der Kosten nur ein zusätzliches Puzzle-Teil.
Dabei schien die Sache schon gelaufen zu sein, als die regierende konservative „Høyre“ mit den oppositionellen Sozialdemokraten eine große Olympia-Mehrheit bildete, um sowohl im nationalen „Stortinget“ als auch im Osloer Kommunalparlament die Bewerbung durchzuwinken.
„David besiegte dann aber Goliath“, konstatiert Heidi Nordby Lunde, konservative Parlamentsabgeordnete, die anfänglich zur kleinen Anti-Olympia-Minderheit in ihrer Partei gehörte: „Wir hatten eine mächtige Olympia-Lobby gegen uns, die Millionen in PR-Kampagnen steckte und profilierte Sportler auf ihrer Seite hatte. Während wir erst einmal mit ein paar Facebook-Seiten anfingen.“
Den David nahm der Goliath wohl erst ernst, als es zu spät war. Da half es dann nicht mehr, als man versprach, die ursprünglich auf über 4 Milliarden Euro geschätzten Kosten angeblich um eine Milliarde zusammenstreichen zu können. Die NorwegerInnen erinnerten sich daran, wie das schon bei Lillehammer gelaufen war: Da waren die Spiele am Schluss auch dreimal so teuer geworden als ursprünglich versprochen. Was man damals zähneknirschend akzeptiert hatte, darauf wollte man sich jetzt nicht mehr einlassen. Zumal auch die Sportverbände nicht geschlossen hinter einer Bewerbung standen. Analytiker rechneten vor, dass neue Sportstätten in Oslo nicht nur den Spielraum für sportliche Investitionen im ganzen Land empfindlich beschneiden, sondern auch für den Breitensport in der Hauptstadt von Nachteil sein würden, da damit das Unterhaltsbudget um 300 Prozent steigen werde.
IOC kaum vorbildhaft
BJØRNAR MOXNES VON DEN LINKEN IN OSLOS KOMMUNALPARLAMENT
Neben den Kosten spielte in der norwegischen Debatte auch das Bild eines IOC, der vorwiegend mit Begriffen wie „korrupt“ und „undemokratisch“ verbunden wurde, eine große Rolle.
Nachdem eine breite Öffentlichkeit erfuhr, welche Steuer- und Abgabenprivilegien dieses Gremium in seinen Vertragbedingungen forderte, brach ein regelrechter Entrüstungssturm los. Dass das IOC für sich als Organisation und alle seine Mitglieder völlige Befreiung von Steuern, Zöllen und Abgaben vor, während und nach den Spielen haben will, könne kein demokratischer Staat akzeptieren, kritisierte beispielsweise der Osloer Steuerprofessor Ole Gjems-Onstad. Solche Ausnahmeregelungen von der Steuergesetzgebung für eine Gruppe, die sich offenbar als „Adelskaste“ sähe, „passt vielleicht in eine Diktatur“. Und dass norwegische Politiker, denen der Gleichheitsgedanke sonst so wichtig sei, überhaupt auf den Gedanken kommen könnten, derartige Ausnahmen für eine Organisation wie das IOC in Betracht zu ziehen, müsse schon sehr verwundern.
Die Kritik zeigte Wirkung. Eine Mehrheit der Sozialdemokraten, die mit ihrem Vorsitzenden Jonas Gahr Støre an der Spitze zunächst neuen olympischen Winterspielen positiv gegenüber gestanden hatten, kippte zu einem Nein um. Und ohne die Sozialdemokraten verschwand die erforderliche parlamentarische Unterstützung ganz, da die mit der „Høyre“ regierende rechtspopulistische Fortschrittspartei sich schon sehr früh auf ein Nein festgelegt hatte. Mit so wenig Rückhalt können wir das nicht machen“, erklärte Ministerpräsidentin Erna Solberg.
„Wundert es wirklich jemand, dass kein demokratisches Land mehr ein solches Bonzenfest und eine solche schwachsinnige Kostenspirale unterstützen will?“, fragt Bjørnar Moxnes, Fraktionsvorsitzender der Linken in Oslos Kommunalparlament: Vielleicht komme das IOC ja zur Vernunft, wenn es nur noch Diktaturen als Veranstalter bekomme. Wer sich angesichts der jetzigen Bedingungen für eine Olympia-Bewerbung entscheide „spielt jedenfalls den nützlichen Idioten für das IOC“.