piwik no script img

Archiv-Artikel

TANIA MARTINI LEUCHTEN DER MENSCHHEIT Die Seele, sie muss endlich untergehen

Plötzlich waren sie da. Die Seelen. Zusammen mit Fukushima. Und alle redeten von der japanischen Seele. Meinten sie damit den Japaner an sich? Oder doch die Seele an sich? Oder sollten nur die Japaner in Besitz einer solchen Seele sein?

Und dann sagten sie im Deutschlandradio, die Szene von Strauss-Kahn vor dem Haftrichter habe sich tief in die Seele der Franzosen eingegraben. Ob die das dann alle spüren? Oder nur einige? Und ob es da reicht, einen französischen Pass zu haben? Im österreichischen Kurier schrieb ein Kommentator, Strauss-Kahn habe sich keinen Wahlkampf antun wollen und seine Seele sich deshalb auf diese Weise Luft gemacht. Die können sich also auch wehren, die Seelen. Aber was ist, wenn die sich kollektiv wehren, also die japanischen und die französischen, ist das dann wie in „Dawn of the Dead“, oder gibt es sie doch nur im Singular?

Seele kann auch einfach für „Mitglied einer Kirchengemeinde“ stehen. Vielleicht sprechen also nur Journalisten und Pfaffen von Seelen? Aber auch Goethes Iphigenie suchte, lange Tage am Ufer stehend, das Land der Griechen mit der Seele. Das Wort Seele soll einen vorindogermanischen Ursprung in der Vorstellung haben, die Seelen der Menschen lebten vor der Geburt und nach dem Tod in bestimmten Seen. Auch gruselig. Aber wieso macht man sich dann Sorgen um die lebenden Japaner und Franzosen, wenn es doch nur um ihre Seelen in den Seen geht?

Dass die Seele eine Vorstellung ist, bedeutet nicht, dass sie nicht real wäre, sagt Michel Foucault im Anschluss an Louis Althussers „Ideologie und ideologische Staatsapparate“ (VSA 2011). Sie hat eine Wirklichkeit, sie wird ständig produziert durch Machtausübung. Sie ist nur ein Effekt. In ihrem Zeichen werden Individuen erst zu Subjekten gemacht. Wenn du also glaubst, eine Seele zu haben, dann wirf sie weg. Es gibt sie nur als das, was du sein sollst.

Tania Martini ist taz-Kulturredakteurin Foto: privat