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Archiv-Artikel

„Ich will kein Mitleid für mein Kopftuch“

Vielfach wurde es gefordert, jetzt nimmt eine Frau mit Kopftuch an der Islamkonferenz teil: Ayten Kilicarslan, Vertreterin des größten islamischen Dachverbandes Ditib. Warum sie vor allem die Diskriminierung religiöser Frauen zur Sprache bringen will und was sie sich von Bundesinnenminister Schäuble erwartet

DAS IST KILICARSLAN

Ayten Kilicarslan (41) ist im Bauch ihrer Mutter nach Deutschland migiriert und im Sauerland geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie bei der Großmutter in der Türkei, mit sechzehn kam sie zurück nach Deutschland. Kilicarslan ist Diplompädagogin und Wirtschaftswissenschaftlerin und hat drei Kinder. Sie arbeitet im Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen (BFMF) in Köln und leitet dort das muslimische Frauenbildungswerk. Das ist eine unabhängige Institution, die Deutsch- und Integrationskurse, aber auch politische Bildung oder externe Schulabschlüsse für Musliminnen anbietet. Das BFMF berät Zuwanderinnen und muslimische Frauen in allen Lebensbereichen. Auf der türkischsprachigen Website www.turkpartner.de schreibt sie regelmäßig auf Türkisch zu Frauenthemen. Seit dem 8. April ist Kilicarslan im Vorstand von Ditib, dem größten Dachverband der Muslime in Deutschland, der eng mit dem Religionsministerium in der Türkei kooperiert.

INTERVIEW HEIDE OESTREICH

taz: Frau Kilicarslan, es wurde bemängelt, dass keine Frau mit Kopftuch die Islamkonferenz besucht. Vorgestern waren Sie dabei. Wie kommt’s?

Ayten Kilicarslan: Ich bin seit dem 8. April im Vorstand von Ditib und bin anstelle des bisherigen Generalsekretäres ab jetzt dabei. Vorgestern saß ich aber erst einmal in der zweiten Reihe hinter Herrn Alboga. Zunächst will ich Erfahrungen sammeln. Nun müssen wir sehen, ob ich auch bei Arbeitsgruppensitzungen teilnehmen kann, ich bin ja voll berufstätig und habe nicht viel Zeit.

Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu wollte seinen Platz einer Frau mit Kopftuch zur Verfügung stellen. Ist dieses Ansinnen nun erledigt, weil Sie da sind?

Nein, auf keinen Fall. Ich vertrete ja Ditib. Herr Zaimoglu will seinen Platz als Einzelperson für eine religiöse Frau räumen.

Auf der Pressekonferenz sagte Innenminister Schäuble, die Zusammensetzung werde nun nicht mehr geändert.

Das habe ich anders verstanden: Wenn die Zusammensetzung nicht geändert wird, muss es ja eine Vertretung für Herrn Zaimoglu, der nicht mehr teilnehmen will, geben. Es wäre ja diskriminierend, wenn Herr Schäuble nun eine Vertreterin für Herrn Zaimoglu ablehnen würde, nur weil sie ein Kopftuch trägt.

Die Islamkritikerin Necla Kelek sagt, für sie kann eine Kopftuchträgerin nicht emanzipiert sein. Wie stellen Sie sich die Diskussion mit Frau Kelek nun vor?

Diesen Gedanken kann ich nicht teilen. Dagegen brauche ich aber auch nicht argumentieren. Es gibt genug emanzipierte Frauen mit Kopftuch. Es gibt ja im Übrigen auch unemanzipierte Frauen ohne Kopftuch.

Warum tragen Sie das Kopftuch?

Ich interpretiere den Koran so, es ist für mich ein religiöses Gebot. Andere interpretieren die entsprechenden Verse anders. Wenn sie das theologisch begründen können, ist das für mich o.k. Es ist für mich auch ein Zeichen von Emanzipation, dass ich dieses Tuch in einer Gesellschaft trage, die es schwer akzeptieren kann. Das ist meine muslimische Emanzipation.

Was haben Ihre Eltern dazu gesagt?

Meine Eltern waren nicht unbedingt froh darüber. In unserer Familie trägt keine ein Kopftuch, meine Tochter, sie ist sechzehn, übrigens auch nicht.

Können Sie sich vorstellen, dass Sie mit Necla Kelek zusammen für die Stärkung muslimischer Frauen arbeiten – oder steht zu viel zwischen Ihnen?

Zwischen uns steht nichts. Ihre Sichtweise interessiert mich. Ich möchte gerne mit ihr in Kontakt kommen, aber das sollte keine öffentliche Show werden. Ob sie muslimische Frauen stärken will, weiß ich nicht.

Was möchten Sie in der Islam-Konferenz erreichen?

Ich möchte die Belange der muslimischen Frauen einbringen. Diese Frauen werden wegen ihres Aussehens in vielen Bereichen der Gesellschaft ausgeschlossen. Sie finden keinen Ausbildungsplatz, keinen Arbeitsplatz. Sie werden schlechter bezahlt. Wer sie sieht, denkt automatisch, sie seien arm und unterdrückt. Ich möchte nicht, dass auf der Straße jemand meint, er müsste Mitleid mit mir haben, weil ich ein Kopftuch trage.

Von der staatlichen Seite werden die Probleme muslimischer Frauen und Mädchen anders dargestellt: Manche Mädchen dürfen nicht auf Klassenfahrten fahren, nicht am Schwimmunterricht teilnehmen. Es gibt das Problem der Zwangsheiraten …

Was den Schwimmunterricht angeht, haben die Gerichte hier der Religionsfreiheit den Vorrang eingeräumt. Aus religiösen Gründen können Eltern ihr Kind abmelden. Eigentlich ist die Frage damit geklärt. Wenn man das nicht gut findet, muss es im Einzelfall diskutiert werden. Da findet sich ja oft eine Lösung. Die Zwangsheirat ist ein Problem, das mit anderen Mitteln bearbeitet werden muss. Eine anprangernde Haltung nützt da nichts. Man muss mit den Menschen ins Gespräch kommen, damit sie eine neue Sichtweise entwickeln. Dafür ist Bildung wichtig und auch, dass die Frauen selbst gestärkt werden.

Die schlechtere Stellung muslimischer Frauen wird auch mit dem Koran begründet. Etwa mit dem berühmten Züchtigungsrecht des Ehemannes. Wie gehen Sie damit um?

Wenn man diese Sure in ihrem Kontext in Koran und Sunna liest und auch die Übersetzung kritisch betrachtet, dann kann man aus dieser Stelle kein Züchtigungsrecht ableiten.

In vielen muslimischen Publikationen werden diese Stellen nicht so schön kontextualisiert.

Es muss eine theologische Diskussion her. Der Koran muss entsprechend der gesellschaftlichen Veränderung immer neu gelesen werden. Dafür brauchen wir keinen neuen Islam und keine Reform. Man kann sich nicht einfach einen neuen Islam für Herrn A oder Frau B ausdenken, Interpretationen müssen schon theologisch begründet werden. Aber es gibt theologisch fundierte Auslegungen des Korans durch Frauen, die müssen wir diskutieren.

Sie kommen aus Nordrhein-Westfalen, dort ziehen muslimische Lehrerinnen gegen das staatliche Kopftuchverbot vor Gericht. Unterstützen Sie diese Frauen?

Ja. Ich finde, der Staat sollte der Lehrerin so viel Religionsfreiheit gewähren, dass sie ein Kopftuch tragen kann. Die Lehrerinnen, die sich jetzt juristisch zur Wehr setzen, nehmen ihre Rechte wahr. Vielleicht findet das Verfassungsgericht diese Kopftuch-Gesetze ja auch falsch? Das werden wir sehen.

Ditib hat sich aus dem Kopftuch-Streit bisher herausgehalten. Ändert sich das nun mit Ihnen als neuer Frau im Vorstand?

Wissen Sie, ich bin gegen Parallelgesellschaften. Wenn man keine muslimische Parallelgesellschaft haben will, dann muss man die Muslime in die Mehrheitsgesellschaft aufnehmen, auch wenn sie als Muslime kenntlich sind.

Mit dem neuen Koordinierungsrat als muslimischem Ansprechpartner ist der Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble nicht zufrieden. Wie müsste Ihrer Ansicht nach der Islam in Deutschland verfasst sein, damit er als Partner für den Staat funktioniert?

Herr Schäuble wollte einen Ansprechpartner, wir haben einen gebildet. Wenn der ihm nun nicht gefällt, sollte er konstruktive Vorschläge machen. Wir tun, was wir können!