BLEIBEN NOCH 40 MINUTEN WOCHENENDE, BLEIBEN NOCH 20 MINUTEN WOCHENENDE UND NOCH 5 MINUTEN : Nichts passiert an diesem Wochenende
VON LEA STREISAND
Wäre dieses Wochenende ein Kinderferienlager und ich müsste eine Ansichtskarte nach Hause schreiben, dann lautete die: Liebe Mutti, lieber Papi, mir geht es gut. Das Wetter ist schön. Das Essen schmeckt. Bitte schickt mehr Taschengeld! Viele Grüße, Eure Lea.“
Es ist nämlich nichts passiert letztes Wochenende. Absolut nichts. Weil ich dachte, ich werde krank, war ich Freitag nicht auf der Party im Acud. Den ganzen Samstag hing ich jammernd auf dem Sofa, guckte schlechte Filme und trank Ingwertee. Das hilft immer. Wichtig ist, dass die Filme sehr schlecht sind. Das regt die Widerstandskräfte an. „So ein gequirlter Schwachsinn!“, hab ich gerufen, als „Der da Vinci Code“ aus war. Danach rief Frieda an. Sie hatte Liebeskummer. Wenigstens etwas Unterhaltung. Später gab es Kürbissuppe. Auch mit Ingwer. „Wenn ich ein Kind kriege, soll es Ingwer heißen“, verkündete ich beim Abendbrot. Paul guckte bloß. Mein Freund Stefan hat mir erzählt, er entsafte manchmal ganze Ingwerknollen, friere sie ein als Eiswürfel und schmeiße sie sich im Sommer in die Zitronenbrause. So ungefähr stelle ich mir Mundwassertrinken vor.
Es ist Sonntagabend, 23 Uhr 20. 40 Minuten Wochenende bleiben noch.
Heute waren wir Tante Beate besuchen. Es gab Kuchen und Tee, weil Tante Beate keinen Kaffee mehr trinkt. Seit drei Jahren. Seitdem steht die angebrochene Krönung bei Tante Beate im Küchenschrank. Sie weigert sich, die Packung wegzuschmeißen. „Der ist doch noch bildschön“, sagt sie. Zu Weihnachten bringen wir heimlich eigenen Kaffee mit. Aber weil heute nicht Weihnachten war, haben wir es vergessen und stattdessen jeder eine Kanne Tee ausgesoffen. Mir zittern immer noch die Knie. Paul wimmert von nebenan, er habe Herzrasen. Schön, wenn die Drogen noch wirken.
Noch zwanzig Minuten Wochenende.
Gänse schnattern durch die Nacht über der Stadt. Seit Tagen fliegen sie Richtung Fernsehturm. Von Pankow aus steht der im Süden. „Und wenn das in Wirklichkeit ein einziger Schwarm ist, der sich verflogen hat“, rufe ich zu Paul ins Nebenzimmer, „und der kreist seit Tagen über der Stadt?“ – „Dann gibt es Wildgans zu Weihnachten“, sagt Paul. Er kann so grausam sein.
Eigentlich wollten wir mit dem Fahrrad zu Tante Berta fahren, aber wir kamen nur bis Ostkreuz. Dann war es so spät, dass wir die S-Bahn genommen haben. Ich hasse Ostkreuz. Wer zum Teufel hat diese Treppen entworfen? Zu breit, zu steil, zu lang. Ich schramme jedes Mal hart an der Panikattacke vorbei, wenn ich da hoch oder runter muss. Menschenmassen kommen dir entgegen. Menschenmassen drängeln hinter dir. Das war früher bei dem alten Rostkreuz schon so und ist jetzt mit dem Umbau keinen Deut besser geworden. Vielleicht setzen sie ja wenigstens noch ein Geländer in die Mitte.
Immer noch fünf Minuten. Ich erzähle noch einen Witz. Sitzt ein Mann am Tresen und sieht unglücklich aus. Fragt ein anderer: „Warum siehstn so unglücklich aus?“ Nee. Moment. So geht der nicht. Der geht ganz anders. Sitzt ein unglücklicher Mann in der Kneipe. Vor ihm auf dem Tisch stehen drei kleine Schweinchen. Und jedes dieser Schweinchen hat eine kleine Melone im Maul. Da fragt der Typ neben ihm: „Watt isn ditte? Und wieso guckstn so unglücklich?“ Da sagt der Erste: „Neulich treffe ick eine Fee. Und die sacht: ‚Du hast drei Wünsche frei. Aber du musst deutlich sprechen. Ick bin nich mehr die Jüngste und ein wenig schwerhörig.’ Und nu guck dir ditt an! – Er zeigt auf die Schweinchen. – Ick wollte drei Millionen in kleinen Scheinen! Watt krieg ick? Drei Melonen in kleinen Schweinen.“ Montag, 0 Uhr. Wenigstens bin ich nicht krank geworden.