: Das Private ist nicht Material der Kunst
TREFFPUNKTE Dries Verhoevens Kunstaktion „Wanna Play. Liebe in Zeiten von Grindr“ war Teil des HAU-Projekts zur Bedeutung des Privaten im öffentlichen Raum. Nach Protesten wurde sie jetzt vorzeitig abgebrochen
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Er suchte Leute zum Schachspielen, Pfannkuchenbacken, für eine Bartrasur oder um über die Kindheit zu reden. Eigentlich alltägliche und kleine Bedürfnisse, die Dries Verhoeven in seiner Kunstaktion „Wanna Play. Liebe in Zeiten von Grindr“ befriedigen wollte. Das Besondere allerdings war erstens, dass der niederländische Künstler dabei seit letztem Mittwochabend in einem gläsernen Container am Heinrichplatz saß und seine Suche über Smartphone-Apps auf einer großen LED-Wand mitzulesen waren. Zweitens nutzte er spezifische Apps, die wie Grindr vor allem von einer homosexuellen Community genutzt werden, meistens geht es dabei um Sex. Das Kontaktieren im gläsernen Container war für zwei Wochen geplant und Teil des Projekts „Treffpunkte – Das Private im öffentlichen Raum“ des HAU-Theaters.
Doch „Wanna Play“ wurde vorzeitig abgebrochen. Dries Verhoeven und Annemie Vanackere, die künstlerische Leiterin des HAU, entschieden sich dazu, nachdem es am Heinrichplatz zu einem handfesten Streit gekommen war und dem Künstler im Netz Datenmissbrauch und „digitale Vergewaltigung“ vorgeworfen werden. Die Scheibe des Containers hat Risse von einem Flaschenwurf, Dries Verhoeven bekam einen Faustschlag von einem User der Dating-Apps. Der sah sich, wie die Berliner Zeitung berichtete, bloßgestellt, weil sein Chat mit Dries Verhoeven auf dem Heinrichplatz mitzulesen war und sein Bild, nur mit einem Röntgen-Effekt verfremdet, doch sehr erkennbar war.
Auch die Betreiber der App Grindr reagierten: Sie distanzierten sich von dem Künstler und möchten ihn ausschließen. Das Theater hoffte anfangs noch, „Wanna Play“mit einem höheren Grad von Verfremdung der Bilder und Texte, die von Verhoevens Smartphones auf die Containerrückwand hochgezogen wurden, weiterführen zu können, merkte dann aber angesichts der zunehmenden Proteste im Internet und auf dem Heinrichplatz, dass es immer mehr Leute gegen sich aufbrachte. Die Absage war mit einer kurzfristig angesetzten und emotional aufgeladenen Diskussion am Sonntagabend verbunden.
Man habe, sagt Annika Frahm, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit am HAU, im Vorfeld wohl die „Empfindlichkeit unterschätzt“, mit der gerade auch die homosexuelle Community auf den öffentlichen Blick reagiere, und nicht sorgfältig genug an der Verfremdung der Chats gearbeitet. Dafür bittet das Theater auf der Website des Projekts um Entschuldigung. Dass ein Gazevorhang zugezogen wurde, wenn Verhoeven von einem seiner Kontakte Besuch bekam, half da auch nicht mehr weiter.
Noch vor der Absage, als er noch hoffte, das Projekt fortsetzen zu können, erklärte Verhoeven dort noch einmal, was er mit seinem Leben und Kontakten vor aller Augen auf dem Heinrichplatz letztlich vorhatte. Ihm ging es zunächst um ein Austesten der Parallelwelt im Internet und dann den Versuch, eine Erzählung darüber zu finden, was die dort entworfenen Profile für das reale Verhalten bedeuten. „Wir erschaffen uns einen Avatar, der mit anderen Avataren in Kontakt tritt. Wir werden zu Spiegelbildern unserer Spiegelbilder. Es bedarf einer großen Willenskraft, nicht den Versuchungen zu erliegen, die von diesen Techniken der Selbstvermarktung ausgehen“, sagte er im Programmheft der Treffpunkte.
Was er mithilfe der Dating-Apps untersuchen wollte, ging also einerseits weit über deren Nutzungsbereich hinaus. Andererseits hätte sich gerade dadurch, dass er auf Plattformen für sexuelle Kontakte nach anderen Begegnungsformen suchte, Fragen danach stellen können, wie sich die Begriffe von Sexualität, Intimität, Geborgenheit, Privatheit verändern und verschieben im Zeitalter des digitalen Raums.
Angenommen und betreut
Die Gleichzeitigkeit von Anonymität und Nähe, von Intimität und Fremdheit, die „Wanna Play“ verhandeln wollte, beschäftigte Verhoeven schon seit Langem, unter anderem in der Installation, „You are here“, die das HAU vor drei Jahren im Schöneberger Gasometer zeigte. Jeder Teilnehmer wurde dort allein in eine Art Hotelzimmer geführt, ahnte das Leben nebenan durch dünne Trennwände, bekam Träume und Geschichten erzählt. Aus dieser melancholischen Form der Einsamkeit holte einen schließlich die spiegelnde Decke, die sich hob und erst einzelne Nachbarn in Nebenzimmern sehen ließ, schließlich alle 39 Besucher der Installation. So sah man sich trotz seiner Vereinzelung aufgehoben als Teil eines Bildes von Gemeinsamkeit. Diese Arbeit Verhoevens war gut zu ihren Besuchern, man fühlte sich angenommen, betreut und geborgen, auch wenn dies alles Teil einer künstlerischen Inszenierung war.
Sein Projekt für „Treffpunkte“ war zweifelsohne riskanter und avancierter. Die Proteste, die zum Abbruch führten, waren sicher nicht das Testergebnis, das er sich von seinem Labor an der Schnittstelle Internet/Öffentlicher Raum erhoffte. Aber sie entstanden an einem der empfindlichen Punkte, die er eben auch im Fokus hatte. Es ging ihm auch darum, dem Schutz der Anonymität zu misstrauen, die Dating-Apps versprechen. „Jeder, der Grindr oder eine ähnliche App auf sein Smartphone lädt, kann die Fotos und Profile anschauen. Benutzer haben im Vertrag mit Grindr sogar akzeptieren müssen, dass ihre Daten auch ohne Registrierung zu sehen sind“, schreibt er in seiner Verteidigung.
Gesellschaft + Kultur SEITE 11