die taz vor zehn jahren über die feigheit von tony blair
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Na schön, die Labour Party wird Großbritannien für die nächsten fünf Jahre regieren. Ein Grund zur Freude? No. Denn Tony Blair symbolisiert die historische Niederlage der Linken. Er ist der wandelnde Beweis, daß Phantasie und Gespür für Alternativen bei den Linken abgedankt haben. Viele Zeitungen, auch die taz, haben in den vergangenen Jahren von der Sozialdemokratisierung der Labour Party geschrieben. Ein Irrtum: Blair ist viel weiter gegangen. Man muß sich noch mal den Wahlkampf vor Augen führen: Die Tories, von Bestechungsskandalen und Flügelstreitigkeiten zerrüttet, bestimmten dennoch die Tagesordnung. Kaum hatte Major warnend den Finger gehoben und das Wort „Gewerkschaft“ erwähnt, da versicherte Blair eifrig, daß Großbritannien unter New Labour die restriktivsten Gewerkschaftsgesetze der westlichen Welt haben werde; Major prophezeite den Zerfall des Vereinigten Königreiches unter Labour, und Blair nahm sogleich dem ohnehin recht machtlosen schottischen Parlament die Steuerhoheit weg; Major munkelte, unter Labour sei es mit dem Aufschwung vorbei, prompt legte Blair die Privatisierungspläne vor, an die nicht mal die Tories gedacht haben.

Tony Blair ist ein Feigling, ein Schönwetterpolitiker, der es allen recht machen will und Konfrontationen scheut. Sein Ruf als radikaler Reformer rührt vom Umgang mit der eigenen Partei, in seinen politischen Vorstellungen ist er aber zutiefst konservativ. Die einzigen Feinde, die er sich gemacht hat, sind Old Labour und die Gewerkschaften. Aber es ist ein zahnloser Löwe, mit dem sich Blair anlegt: Die Macht der Gewerkschaften hat Margaret Thatcher längst gebrochen. 1979, als sie Premierministerin wurde, waren weit mehr als die Hälfte der britischen Arbeiter gewerkschaftlich organisiert, heute ist es nicht mal ein Drittel. Tony Blair handelt, als ob er sich das Land von den Tories nur geliehen hat. Tory-Politik aber können die Tories besser betreiben.Ralf Sotscheck, taz 5.5.1997