Scherben bringen Stress

MILITANZ Nach linksradikalen Anschlägen spricht man in Medien vom „Terror im Kiez“. Politiker fordern ein hartes Durchgreifen, die Autonomen fühlen sich herausgefordert

40 Vermummte attackierten das Haus mit Farbbeutel- und Steinwürfen

VON ERIK PETER

Nach Jahren scheinbarer Ruhe ist in Berlin die Debatte um linksradikale Anschläge neu entbrannt. Vermehrt kam es in den vergangenen Wochen zu militanten Aktionen gegen Häuser mit Eigentumswohnungen. In der Nacht von Sonntag auf Montag gingen auf der Baustelle des größten Friedrichshainer Neubauprojekts, dem „Freudenberg-Areal“ zwischen Boxhagener Straße und Weserstraße, Holzpaletten und gelagerte Teile eines Fahrstuhls in Flammen auf. Drei Tage zuvor brannten in Kreuzberg, Mitte, Friedrichshain und Baumschulenweg innerhalb weniger Stunden zehn Autos. Die Polizei geht bei allen Taten von einer politischen Motivation aus.

Im besonderen Fokus steht ein Neubau am Engeldamm in Mitte. Dem Möbelgeschäft Sitzfeld im Erdgeschoss des Hauses wurden innerhalb eines Jahres bereits fünf Mal die Fenster eingeworfen. Zuletzt attackierten vergangene Woche bis zu 40 Vermummte das Haus mit Farbbeutel- und Steinwürfen, zogen dann eine Ecke weiter zum denkmalgeschützten Taut-Haus am Engelbecken, wo sie ebenfalls die Glasfassade zerstörten. Die Eigentumswohnungen in beiden Gebäude befinden sich im oberen Preissegment.

Im Bekennerschreiben zu diesem Anschlag, das auf einer linken Internetseite veröffentlicht wurde, beziehen sich die Autoren auf einen Beitrag des RBB-Magazins „Kontraste“. In diesem wurde unter dem Titel „Terror im Kiez“ berichtet, dass sowohl die Besitzer des Möbelgeschäfts als auch die darüber wohnende Familie ihren baldigen Auszug planen. Die linksradikale Szene bestimme darüber, wer wo wohnen darf, so die These. Von der Berichterstattung fühlten sich die Autonomen offenbar herausgefordert, wie aus ihrer Kritik an dem Beitrag und einer Häufung ihrer Aktionen seit der Ausstrahlung zu entnehmen ist.

In Folge des RBB-Beitrags meldete sich der SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber zu Wort. „Es kann nicht zum Alltag in Berlin gehören, dass Menschen durch radikale Gewalttäter von links verdrängt werden“, schrieb er auf seiner Facebookseite. Gegenüber der taz forderte Schröder ein deutlich härteres Vorgehen von Justiz und Polizei. Er sprach sich für Verbote gewaltbereiter und im Verfassungsschutzbericht erwähnter linker Gruppen und die Durchsuchung von besetzten Häusern aus. Ihm zur Seite sprang der Grünen-Innenpolitiker Benedikt Lux. Im Tagesspiegel forderte er mehr zivile Streifen, auch eine Funkzellenabfrage könne er sich vorstellen. Ihm zufolge, hätten Leute, die anderen vorschreiben würden, wer wo wie leben darf, in einer weltoffenen Stadt wie Berlin nichts zu suchen. Innensenator Frank Henkel (CDU) hat die Polizeipräsenz in den betroffenen Vierteln mittlerweile verstärkt.

Für eine Abkühlung der erhitzten Debatte könnten Zahlen der Berliner Polizei beitragen. Im ersten Halbjahr 2014 zählte diese 93 politisch motivierte Sachbeschädigungen im Themenbereich „Gentrifizierung“, deutlich weniger als in den Vorjahren. Im Jahr 2011 wurden im selben Zeitraum noch 308 Taten notiert.

Reportage SEITE 23