: OFF-KINO
LARS PENNING
Weil einem auf Nettigkeiten geeichten Familienpublikum die Marx Brothers viel zu absurd und unsympathisch erschienen, versuchte man es bei MGM seit Mitte der 1930er Jahre mit einer neuen Taktik: Im Zentrum ihrer Filme stand nun ein jugendliches Liebespaar in Nöten, dem die Marx Brothers als dienstbare Geister aus seinen Kalamitäten halfen – ihre anarchische Komik wurde als Mittel zum guten Zweck instrumentalisiert. Immerhin überlebte der Humor der Brüder die Zähmungsversuche an vielen Stellen einigermaßen unbeschadet, sodass auch „A Night at the Opera“ (1935) einige ihrer besten Nummern enthält. Wie zum Beispiel die berühmte Szene in der winzigen Schiffskabine, in die Groucho, nachdem der Platz bereits kaum mehr für ihn, seine Brüder Harpo und Chico sowie einen hilfsbedürftigen Tenor ausreicht, noch zwei Zimmermädchen, einen Klempner und seinen Assistenten, eine Maniküre, eine Putzfrau, eine Dame auf der Suche nach ihrer Tante sowie drei Kellner hereinbittet. Im Babylon Mitte läuft „A Night At The Opera“ in einer kleinen Reihe zu Ehren des 1933 aus Deutschland emigrierten österreichischen Film- und Schlagerkomponisten Walter Jurmann, der in Hollywood für mehrere Filme der Marx Brothers die Musik schuf (OF, 13. 10. Babylon Mitte).
Bei uns ist Jeanne Roques, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Musidora, wohl allenfalls filmhistorisch interessierten Menschen ein Begriff, denn die Französin spielte in den 1910er Jahren in Louis Feuillades Serials „Les vampires“ und „Judex“ die weibliche Hauptrolle. In Frankreich hingegen ist Musidora eine Legende. Vor allem ihr Auftritt im hautengen schwarzen Kostüm als Verbrecherin Irma Vep in „Les vampires“ inspirierte berühmte Literaten und Filmemacher immer wieder: Musidoras Sinnlichkeit, ihr weibliches Selbstbewusstsein und ihre Modernität kamen niemals aus der Mode. Die schöne Dokumentation „Musidora, la dixième muse“ von Patrick Cazals spürt mit Fotos, Filmausschnitten, Tondokumenten sowie Gesprächen mit Angehörigen und Historikern dem Leben und der Karriere der Künstlerin nach, die auch als eine der ersten Regisseurinnen Frankreichs gelten darf und in späteren Jahren bei der Cinémathèque française mithalf, Zeitzeugenerinnerungen an die Anfangstage des Kinos zu bewahren. (Om engl. U, 9. 10. Zeughauskino).
Einer der schönsten Filme von François Truffaut ist „Die süße Haut“ (1964): die bittere Charakterstudie eines egozentrischen Literaturkritikers (Jean Desailly), in der Truffauts Sympathien eindeutig den weiblichen Hauptfiguren gelten, darunter auch die von der fabelhaften Françoise Dorléac gespielte Stewardess Nicole. (OmU, 12. 10. Lichtblick-Kino).