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Archiv-Artikel

Der namenlose Herr Edathy

KINDERPORNOGRAFIE Das Bundeskriminalamt behauptet, den Namen Sebastian Edathy zwei Jahre lang in seinen Dateien übersehen zu haben. Doch die Zweifel daran mehren sich

Warum verschwieg das BKA, dass es schon im Sommer 2013 zwei Promis fand?

VON STEFAN REINECKE

BERLIN taz | Was wusste das Bundeskriminalmat BKA wann über den Fall Sebastian Edathy, der verdächtigt wird, Kinderpornos gekauft zu haben? Diese Frage recherchiert derzeit ein Untersuchungsausschuss des Bundestages. Es steht die Frage im Raum, warum das BKA so lange nicht begriff, über welch explosive Daten es verfügte.

Die Behörde bekam bereits im Herbst 2011 aus Kanada einen Datensatz mit den Namen von 800 deutschen Kinderpornokonsumenten. Dass darunter der Name des SPD-Innenpolitikers Edathy war, ist der Behörde zwei Jahre lang nicht aufgefallen. Erst nachdem die Daten unter anderem an das Landeskriminalamt Niedersachsen weitergeleitet worden waren, erkannte ein Polizist in Nienburg-Schaumburg, dass der SPD-Bundestagabgeordnete als Käufer von Kinderpornos geführt wurde.

Doch die BKA-Version, nichts gewusst zu haben, hat Risse. So untersuchten vier Beamte des Bundeskriminalamtes bereits 2012 einen Sprengstoffanschlag auf den Briefkasten von Edathy, der bis August 2013 als viel gelobter Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses fungierte. Man prüfte, ob der Anschlag aus Neonazikreisen kam. Doch die BKA-Mitarbeiter stießen bei der Recherche des Falls im internen Behördencomputer auf etwas anderes: Edathy wurde als Käufer in der kanadischen Kinderpornoliste geführt. Die Beamten taten daraufhin etwas Erstaunliches – nämlich nichts.

Auch danach, behauptet das BKA hartnäckig, habe man Edathy nicht entdeckt – weil man nie Politiker auf der Liste suchte. Das jedenfalls hat BKA-Chef Jörg Ziercke im März 2014 dem Innenausschuss klipp und klar dargelegt. Ein Promicheck in der „OP Selm“, so der Behördenjargon für die Kinderporno-Daten, sei eine völlig abseitige Vorstellung. „Hätten wir alle Bundestagsabgeordnete unter Generalverdacht stellen und wegen des Besitzes von Kinderpornografie gegen die Kundendatei abgleichen sollen?“, so der Behördenchef unwirsch. Weil man die Datei nicht konkret durchsuchte, so die BKA-Version, habe eben auch der Name Edathy nicht auffallen können.

Doch nun gibt es noch ein Indiz, das Zierckes Version in Frage stellt – eine Mail, der mit der „OP Selm“ betrauten BKA-Mitarbeiterin Julia G. Sie schrieb am 8. Juli 2013 an Sachgebietsleiter Gunther S. Man habe im Internet Namen recherchiert und zwei Prominente gefunden: einen „Pressesprecher eines Parlamentes“ und einen namentlich bekannten Mitarbeiter. Die Mail liegt der taz vor. Am Ende schreibt Julia G.: „Ansonsten haben wir natürlich auch weiterhin alles mögliche in der OP Selm (Kinderärzte, Urologen, Zauberer, Sozialpädagogen usw.) In diesen Fällen würde ich Dich nicht gesondert informieren. Gruß, Julia“

Das bedeutet: BKA-Leute haben im Juli 2013 Namen der Kinderpornodatei gegoogelt, öffentliche bekannte Namen gefunden und systematisch die Berufe möglicher Beschuldigter recherchiert. Das ist normale Ermittlungsarbeit – widerspricht aber Zierckes Aussage, keinen Promicheck durchgeführt zu haben.

So bleiben mal wieder ziemlich viele Fragen. Ist es plausibel, dass die BKA-Rechercheure zwar Mitarbeiter und Pressesprecher ausfindig machten – nicht aber Sebastian Edathy, der damals als Vorsitzender des NSU-Ausschuss in den Medien präsent war und außerdem damals in der NSU-Mordaffäre das BKA unter Feuer nahm? Und: Warum hat Ziercke dem Untersuchungsausschuss die Information, dass das BKA schon im Sommer 2013 zwei Promis ausfindig machte, bisher verschwiegen?

Drittens: Offenbar wusste die Behörde im Sommer, dass auch Kinderärzte und Sozialpädagogen auf der Liste standen. Es ist kriminologisch zwar nicht nachgewiesen, dass Nutzer von Kinderpornografie eher Hand an Kinder legen. Aber es fragt sich im Sinne des Opferschutzes, ob es klug ist, knapp zwei Jahre vergehen zu lassen, ehe man auf Daten von Kinderärzten und Sozialpädagogen stößt.

Es kann sein, dass die BKA-Leute im Sommer 2013 den Namen Edathy einfach übersahen. Doch die Ungereimtheiten lassen auch etwas anderes möglich sogar wahrscheinlicher erscheinen. Etwa, dass die Behörde damals lieber nichts Derartiges über Edathy wissen wollte. Knapp zwei Wochen vor der Mail von Julia G. nahm Edathy BKA-Chef Ziercke im NSU-Ausschuss in die Mangel. Ein Kinderporno-Vorwurf aus dem BKA gegen Edathy hätte damals wie der Versuch gewirkt, den lästigen Vorsitzenden des NSU-Ausschusses abzuschießen.

Donnerstagnachmittag tagt der Edathy-Untersuchungsausschuss. Geladen sind drei BKA-Beamte. Julia G. ist noch nicht darunter.