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Archiv-Artikel

„Hier ist Führung gefragt“

Wegen seines Sparkurses bei der Dortmunder Lokalredaktion steht Ulrich Reitz in der Kritik. Der „WAZ“-Chefredakteur über Umstrukturierungen und den neuen Verhaltenskodex der Zeitung

Der Mönchengladbacher Ulrich Reitz (46) war erst Chefredakteur bei der „Rheinischen Post“, bevor er im Juli 2005 die Leitung der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ (WAZ) übernahm FOTO: ECOPIX.DE

INTERVIEW STEFFEN GRIMBERG

taz: Herr Reitz, taz und WAZ kooperieren im Ruhrgebiet im Rahmen der „Sind wir noch zu retten“-Kampagne der taz nrw und bieten ein gemeinsames Abo an. Die WAZ ist nicht gerade für Großzügigkeit bekannt – was versprechen Sie sich?

Ulrich Reitz: Sie unterstellen der WAZ Altruismus? Wir sind doch für unsere Ökonomie bekannt: Wir wollen die Neugier von Lesern, die uns noch nicht kennen, befriedigen. Wir erhalten einen grandiosen Eindruck von einer neuen Zielgruppe – und hoffen natürlich, dass wir auch ein paar neue Abos bekommen.

Vor Ostern haben Sie eine Qualitätsoffensive verkündet – die pikanterweise zunächst darin besteht, die WAZ -Redaktion in Dortmund um zwei Drittel der Belegschaft zu kürzen.

Es wird seit 20 Jahren darüber diskutiert, ob sich die WAZ aus Dortmund zurückzieht. Hier machen sich drei Zeitungen Konkurrenz: unser Schwestertitel Westfälische Rundschau (WR), die Ruhr Nachrichten – und wir. Aber die WAZ hat in Dortmund die mit Abstand kleinste Auflage, rund 7.000 Exemplare – bei 13 Redakteuren. Die WAZ Mülheim macht mit 7 Redakteuren 30.000 Auflage. Und ich habe jetzt nach 20 Jahren die Entscheidung getroffen: Die WAZ bleibt in Dortmund, aber nicht mehr mit einer kompletten Lokalredaktion, sondern in Kooperation mit der WR.

Das bedeutet konkret: drei RedakteurInnen und ein Fotograf. Wo bleiben die anderen neun MitarbeiterInnen?

Wir sind sehr sozial: Keiner verliert seinen Job. Und wir investieren gleichzeitig im Raum Duisburg – in Moers und in Rheinhausen. Da sind unsere Redaktionen im Moment viel zu schwach. Und wir nutzen die Chance der Umstrukturierung in Dortmund, um dort personell auszubauen, in Kooperation mit der in Moers und Rheinhausen sehr starken NRZ.

Welche Vorgaben hatten Sie aus der Geschäftsführung?

Die Umstrukturierungen werden ausschließlich von der Redaktion getrieben, dahinter steht ein redaktionelles Konzept. Welcher Verlag gibt Ihnen in diesen Zeiten so viele Freiheiten? Was passiert wohl mit dem taz-Redakteur, wenn Ihr Verlag – was Gott verhüten möge – den Regionalteil NRW schließen müsste?

Der Betriebsrat der WAZ -Regionalteile wirft Ihnen und der Geschäftsführung eine „menschlich mehr als enttäuschende und inakzeptable“ Informationspolitik vor.

Das weise ich entschieden zurück: Gerade um die Beschäftigten nicht im Ungewissen zu lassen, haben wir in allen Fragen so schnell wie möglich informiert. Die Entscheidung für das Dortmunder Modell ist abschließend am Montagabend vor Ostern gefallen. Am Mittwochmorgen haben wir die Mannschaft informiert. Ich glaube nicht, dass es in irgendeinem Unternehmen schneller geht. Und drei Wochen später wussten die Kollegen, wer in Dortmund bleibt und wer an einen anderen Ort wechselt. Übrigens auf vollwertige, nach Tarif bezahlte Redakteursstellen.

Dennoch gibt es Protest.

Ich habe den Kollegen in Dortmund vor einem Jahr gesagt, dass wir in Dortmund bleiben – aber nicht in der heutigen Form. Damit habe ich sie mit vorbereitet, dass etwas passieren wird. Sie können solche Konzepte nicht basisdemokratisch entwickeln. Hier ist Führung gefragt.

Kritiker sehen in den jüngsten Zusammenlegungen – neben Dortmund im Kreis Recklinghausen – einen schleichenden Abschied vom WAZ -Modell, nach dem sich der Verlag mehrere voneinander unabhängige Titel an einem Ort leistet.

Wir sind nicht öffentlich-rechtlich. Wir sind ein Unternehmen – und damit den Eigentümern verpflichtet. Wir müssen Gewinne machen. Wenn ich Strukturen aufrechterhalte, die potenziell die Existenz des Ganzen gefährden, erweise ich auch den Mitarbeitern einen Bärendienst.

Branchenexperten vermuten hinter den jüngsten WAZ -Maßnahmen auch Absprachen mit dem Verlag Lensing-Wolff, der ebenfalls in Dortmund und im Raum Recklinghausen aktiv ist.

Jeder Verlag muss definieren, was es für ihn heißt, ökonomisch sinnvoll und sozial verantwortbar zu handeln. Das haben wir auf unsere Weise getan. Ich bin noch nicht mal zwei Jahre dabei, und vielleicht brauchte es jemanden von außen, der solche Dinge entscheidet. Lensing-Wolff hat eine andere Entscheidung getroffen, die wir nicht treffen würden. Outsourcing ist für die WAZ kein Thema. Unser Masterplan ist völlig unabhängig von anderen Verlagen.

Dennoch schwindet auch hier publizistische Vielfalt.

Kooperationen der Zeitungen der WAZ-Gruppe untereinander, die Übernahme von Lokalteilen, gibt es seit vielen, vielen Jahren. Dem führen wir jetzt mit speziell auf den Markt zugeschnittenen Modellen weitere Spielarten hinzu – mit dem Ziel, den gesamten Laden langfristig stabil zu machen. Deswegen ist es auch unfair, nur über Dortmund zu reden und zu verschweigen, dass wir an anderen Orten die Redaktionen ausbauen. Im Duisburger Süden haben wir sogar eine neue Lokalredaktion gegründet, zur großen Zufriedenheit unserer dortigen Leser.

Die WAZ-Gruppe hat eben einen eigenen journalistischen Verhaltenskodex verabschiedet, der nochmal ausdrücklich Schleichwerbung verbietet. Sollte das nicht eine Selbstverständlichkeit sein?

Für die WAZ war das immer selbstverständlich. Allgemein gilt das nicht mehr – denken Sie nur an die fragwürdige Entscheidung Brüssels, das Verbot von Schleichwerbung im Fernsehen einzuschränken. Und in Berlin tummeln sich heute wohl mehr PR-Leute als Journalisten. Wir leben, wie alle Tageszeitungen, von unserer hohen Glaubwürdigkeit. Die Leser können sich auf uns verlassen, und der Kodex präzisiert nun, was das heißt; er aktualisiert Tugenden, die für jeden anständigen Journalisten selbstverständlich sind.