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Archiv-Artikel

mail aus manila Politischer Karneval

Am 10. Mai finden auf den Philippinen Senatswahlen statt. Schon jetzt gibt es viele seltsame Geschichten zu erzählen

Plötzlich sehen die Straßen von Manila aus, wie für einen Karneval dekoriert. Bunte Poster und Transparente schmücken überall die normalerweise trist grauen Avenuen und Durchfahrtstraßen der Hauptstadt der Philippinen. Und im Grunde ist es auch eine Art Karneval, der zur Zeit in den Philippinen stattfindet. Am 10. Mai sind Senatswahlen. Die Transparente werben farbenfroh für die Kandidaten, die sich zur Wahl stellen. Viele von ihnen wären freilich im Gefängnis besser aufgehoben als im Senat, der neben dem Repräsentantenhaus wichtigsten politischen Vertretung des Landes.

Da ist zum Beispiel Chavit Singson, der 2001 die zuletzt größte politische Krise des Landes auslöste, als er in einem Fernsehinterview behauptete, er habe umgerechnet acht Millionen Dollar Profit aus dem illegalen Glücksspiel Jueteng an den damaligen Präsidenten Joseph Estrada weitergegeben. Die darauf folgenden Massendemonstrationen trieben Estrada – einen ehemaligen Filmstar – aus dem Amt. Seither wartet er im Hausarrest in seiner Luxusvilla auf ein Gerichtsverfahren.

Singson ist immer noch Gouverneur der Provinz Illocos Sur. Er ist nach eigenen Angaben mehrfacher Dollarmillionär und unterhält einen Privatzoo, der nach Voranmeldung von Touristen und Schulklassen besucht werden kann. Als vor kurzem ein durchgeknallter Geschäftsmann und Selbstdarsteller 28 Kinder in einem Schulbus als Geiseln nahm, um angeblich auf die schlechte Ausbildungslage auf den Philippinen aufmerksam zu machen, verhandelte Singson öffentlichkeitswirksam vor laufenden Kameras mit dem Entführer. Die Polizei, deren Aufgabe das eigentlich gewesen wäre, regelte in der Zwischenzeit den Verkehr. Er war es auch, der schließlich die Sicherungsriegel in die Handgranaten zurücksteckte, die der Entführer dabei hatte. Die Weltöffentlichkeit sah via CNN und BBC zu. Die Granaten erwiesen sich später als Blindgänger.

Joseph Estradas Nachfolgerin wurde – nachdem Singson sein politisches Ende herbeigeführt hatte – seine ehemalige Vizepräsidentin Gloria Arroyo, die 2001 bei einer Neuwahl zur Präsidentin gewählt wurde. Oder, was wahrscheinlicher ist, sich durch Manipulationen im großen Stil die Wahl erschlich. Die Vorwürfe gegen sie wurden nie entkräftet, weil sie sich durch alle erdenklichen Tricks einer Untersuchung entzog, selbst als Tonbandmitschnitte auftauchten, die ihre Telefonate mit dem Wahlleiter Virgilio Garcillano während der Auszählung der Stimmen dokumentierten. Garcillano, der auf dem Höhepunkt der Wahlkontroverse das Land verließ und später in einem merkwürdig kurzen Verfahren von aller Schuld frei gesprochen wurde, überlegt nun, in die Politik einzusteigen. Nach hiesigen Verhältnissen wäre er dafür überdurchschnittlich qualifiziert.

Jetzt prahlt das Parteienbündnis von Präsidentin Arroyo bei Pressekonferenzen damit, dass sie alle zwölf vakanten Sitze im Senat gewinnen wird. Wenn man sie fragt, wie sie das erreichen will, obwohl alle Umfrageergebnisse gegen sie sprechen, verweist sie auf die „gut geölte Maschinerie“ der Regierung – ein Statement, das schon jetzt Ängste vor neuen Wahlfälschungen schürt. Gloria Arroyo schwärmt indessen von den Philippinen als dem „demokratischsten Land Asiens“ – was keine große Leistung wäre – und lässt sich auch nicht von dem Besuch eines UN-Menschenrechtskommissars und einem kürzlich erstellten Wirtschaftsgutachten, das die Philippinen als eins der korruptesten Länder der Welt einschätzt, aus dem Trott bringen.

Unterdessen patrouillieren (wie unter dem ehemaligen Militärdiktator Ferdinand Marcos) Eliteeinheiten in Kampfanzügen in den schlimmsten Gettos von Manila – angeblich um „Probleme“ während der Wahl zu verhindern. Tatsächlich „informieren“ die Soldaten die Bevölkerung mit Hilfe von Videos über die Linksparteien Gabriela und Bayan Muna und schikanieren deren Kandidaten. Die Gettobewohner, die wegen ihrer schreienden Armut wenig Zeit zur politischen Willensbildung haben, aber wichtige Stimmen bringen können, werden dank dieser Einschüchterung schon ihr Kreuz an der richtigen Stelle machen. Alles andere richtet dann die „gut geölte Maschinerie“ der Regierung. TILMAN BAUMGÄRTEL