Im Nordjemen tobt ein Bruderkrieg

Bei den Kämpfen zwischen Regierungstruppen und schiitischen Rebellen an der Grenze zu Saudi-Arabien werden tausende Tote und 30.000 Vertriebene befürchtet. Der Bruder des derzeitigen Anführers lebt als politischer Flüchtling in Deutschland

VON SUSANNE SPORRER

Das Kampfgebiet beginnt 250 Kilometer nördlich der Hauptstadt, doch selbst in Sanaa kann niemand sagen, was genau dort vor sich geht. „Es ist ein hässlicher Krieg, in dem Jemeniten gegen Jemeniten kämpfen“, schreibt die regierungskritische Yemen Times. So viel ist sicher. Doch bei den übrigen spärlichen Informationen aus der umkämpften Region Saada an der Grenze zu Saudi-Arabien ist es schwer, die Wahrheit zwischen Propaganda und Gerüchten herauszufiltern. Die Regierung hat eine Nachrichtensperre verhängt, die Straßen nach Saada gesperrt, die Telefonleitungen lahm gelegt und die meisten Journalisten mundtot gemacht.

Die Kämpfe begannen im Sommer 2004, nachdem die Anhänger des schiitischen Geistlichen Hussain al-Huthi wochenlang mit antiamerikanischen Parolen gegen den prowestlichen Kurs der Regierung protestiert hatten. Drei Monate später war al-Huthi tot, unter der Führung seiner Verwandten aber geht der Bürgerkrieg mit der Armee bis heute weiter. Immer wieder gab es Waffenstillstandsvereinbarungen, Verhandlungen, eine Amnestie für inhaftierte Rebellen, doch befriedet wurde die Region nie. Seit Ende Januar wird wieder gekämpft, heftiger als je zuvor. „Die meisten in diesem Krieg kämpfen nicht für irgendwelche Ideen, sondern um ihr Leben“, sagt Yahya al-Huthi, der Bruder des derzeitigen Anführers auf Rebellenseite. Der 47-Jährige ist Parlamentsabgeordneter und lebt seit Anfang 2005 als politischer Flüchtling in Deutschland. Die jemenitische Regierung betrachtet ihn als einen der Drahtzieher des Aufstands. Im April reichte sie bei der deutschen Botschaft in Sanaa ein Fahndungsersuchen gegen ihn ein, die Vorstufe zu einem möglichen Auslieferungsantrag.

Die al-Huthis sind eine Familie religiöser Gelehrter, sehen sich als direkte Nachfahren des Propheten Mohammed und spielen seit Generationen eine führende Rolle bei den Zaiditen, jener schiitischen Gemeinschaft, die es nur noch im mehrheitlich sunnitischen Jemen gibt. Die Regierung bezeichnet sie als „Terroristen“ und erhofft sich mit dieser Einordnung ausländische Hilfe. Sie wirft ihnen vor, einen Umsturz in der Republik zu planen, um ein neues Imamat zu errichten – einen zaiditischen Gottesstaat, wie es ihn über 1.000 Jahre bis zur Revolution 1962 im Jemen gab. Unterstützung bekämen sie dafür aus dem Iran und Libyen, so der Vorwurf weiter.

Yahya al-Huthi bestreitet diese Anschuldigungen: „Wir bekommen keinen Cent aus dem Ausland.“ Sein Ziel sei ein föderaler Jemen, „in dem wir unsere Freiheit und Rechte bekommen, unsere Zeitungen herausgeben und Schulen betreiben können.“ Er macht die Regierung für Angriffe auf die Zivilbevölkerung verantwortlich: „Weil die Armee es nicht schafft, unsere Kämpfer in den Bergen zu bezwingen, greifen die Soldaten in den Dörfern wahllos Häuser an, beschlagnahmen Hab und Gut, töten Frauen und Kinder.“ Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz spricht von über 30.000 Vertriebenen, al-Huthi von tausenden Toten, die Regierung von knapp 1.000 getöteten Soldaten. Amnesty international (ai) befürchtet schwerste Menschenrechtsverletzungen, in den vergangenen Jahren dokumentierte die Organisation mehrere Fälle von Folter an Al-Huthi-Anhängern.

Wo Bomben fallen, jeder Mann eine Waffe trägt und Blutrache gilt, ist es schwer, zwischen Kämpfern und Zivilisten zu unterscheiden. Ein Teil der Stämme in der Region hat sich auf die Seite der al-Huthis geschlagen, andere Clans sind Söldner der Armee. Verstärkung erhält das Militär auch von sunnitischen Fundamentalisten – Erzfeinde der al-Huthis, seit sie Anfang der 1980er-Jahre mit saudischem Geld in der Region Saada eine ihrer Koranschulen eröffneten.

Doch militärisch scheint dieser Kampf nicht gewinnen zu lassen. Die zu Jahresbeginn angekündigte Großoffensive der Armee blieb offensichtlich erfolglos, und die Rebellen wollen erst verhandeln, wenn auch der letzte Soldat aus Saada abgezogen ist. „Die Regierung hat die Geschichte des Jemens vergessen“, kommentiert die Yemen Times: „Noch keine Armee konnte je diesen Teil des Landes unterwerfen – warum also versucht sie weiter etwas, was selbst Ägyptern, Osmanen, Römern und Persern nicht gelang?“