Eine Stichwahl entscheidet über Osttimors Präsidenten

Morgen werden die Wähler in dem kleinen Land noch einmal an die Urnen gehen müssen. Die Spannungen zwischen beiden Kandidaten steigen

BANGKOK taz ■ Von einem Urnengang „in Frieden und Liebe“ spricht der osttimoresische Parlamentschef Francisco Guterres, Präsidentschaftskandidat der einflussreichen Regierungspartei Fretilin. Gleichzeitig wird Guterres, besser bekannt unter seinem Guerillanamen „Lu’Olo“, aber nicht müde, seinem Rivalen, Nochpremier José Ramos-Horta, Stimmenkauf vorzuwerfen. Zudem bezichtigten Mitglieder der Fretilin die derzeit in Osttimor stationierten internationalen Friedenstruppen unter australischer Führung der Wählereinschüchterung: Die Truppen unterstützten offenbar Premier Ramos-Horta. Sie hätten versucht, Wahlveranstaltungen der Regierungspartei zu stören. Im Gegenzug klagte Premier Ramos-Horta, die Fretilin, die über eine Mehrheit im Parlament verfügt, würde seine Anhänger einschüchtern.

Die politische Spannung vor der Stichwahl wächst: Diese wurde angesetzt, nachdem keiner der ursprünglich acht Präsidentschaftskandidaten vor vier Wochen die erforderliche Mehrheit auf sich vereinigen konnte. Guterres hatte rund 28 Prozent der Stimmen erzielt, Ramos-Horta, dem die übrigen Kandidaten nun Unterstützung signalisierten, rund 22 Prozent. Die Wahl war friedlich verlaufen, doch die Auszählung der Stimmen hatte sich zunehmend als chaotisch erwiesen. Vorwürfe wegen Wahlbetrugs konnten zwar nicht völlig entkräftet werden. Allerdings vermuteten Beobachter, dass vorwiegend Fehler in den technischen Abläufen und ungenügende Kenntnisse über das Wahlprozedere bei Bevölkerung und Mitarbeitern der Wahlkommission für das Chaos verantwortlich waren.

Die Zeit war den zuständigen Behörden in Osttimor schlicht davongelaufen: Denn das gesetzliche Regelwerk für die Wahl des Präsidenten, erklärte die „Solidarity Observer Mission for East Timor“, kurz Somet, sei erst 13 Tage vor der Wahl festgeschrieben worden. Das Beobachterteam, zu dem auch das in den USA ansässige „East Timor and Indonesia Action Network“ (Etan) gehört, hatte die Wahlen grundsätzlich für frei und fair befunden. Trotzdem empfehlen die Experten, künftig ein klares Regelwerk zu schaffen sowie Wahlhelfer besser zu schulen und zu bezahlen. Beim Urnengang im April wurde zum Beispiel beobachtet, dass Wahlboxen unbeaufsichtigt blieben oder etliche sogenannte Parteibeobachter sich unaufgefordert Zutritt zu Wahllokalen verschafften.

Osttimors Präsident verfügt nicht unbedingt über politische Macht. Er gilt aber als wichtige Integrationsfigur in dem von politischen und sozialen Spannungen zerrissenen Land, das erst vor fünf Jahren von Indonesien unabhängig geworden war. Die Wahl gilt als sehr wichtig: „Die Menschen sehen diesen Prozess als Möglichkeit, endlich vorwärts und aus der Krise heraus zu kommen“, so Jill Sternberg von Somet gegenüber der taz.

Jene Krise war durch die Entlassung von 600 streikenden Soldaten im März 2006 ausgelöst worden. Diese hatten sich darüber beklagt, gegenüber Armeeangehörigen aus dem Osten benachteiligt zu werden. Dort war einst die Hochburg der antiindonesischen Guerilla angesiedelt, die gegen die Besetzung Osttimors durch Indonesien zwischen 1975 und 1999 gekämpft hatte. Im April 2006 waren die Proteste in der Hauptstadt Dili eskaliert, es kam zu einer Spaltung von Armee und Polizei in Ostler und Westler. Jene Polarisierung zeigte sich dann auch bei dieser Wahl: Im Osten stimmten die Wähler vorwiegend für Guterres, im Westen für Ramos-Horta und andere Kandidaten. Der Trend, sagt Jill Sternberg, sei ein wichtiger Indikator für die Ende Juni geplanten Parlamentswahlen: „Die Menschen erwarten mehr von der Fretilin.“

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