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Archiv-Artikel

„Es geht nicht darum, was die Leute in China machen“

Name

PAUL

Vorname

CHRISTIANE

Beruf

SCHAUSPIELERIN (“NEUES VOM WIXXER“, „IM JULI“, „DAS LEBEN IST EINE BAUSTELLE“) UND ÄRZTIN

Geburtstag

8. MÄRZ 1974 (BERLIN-PANKOW)

Herausragende Werke

DISSERTATION ZUM THEMA: „EINFLUSSFAKTOREN AUF DIE PERIOPERATIVE MORBIDITÄT UND MORTALITÄT IN DER PRIMÄREN HÜFTENDOPROTHETIK: EINE RETROSPEKTIVE, FALLKONTROLLIERTE, UNSELEKTIERTE STUDIE ÜBER 628 IMPLANTATIONEN“

INTERVIEW PETER UNFRIED

taz: Frau Paul, Sie lesen gerade „Wir Wettermacher“, Tim Flannerys Grundsatzwerk über den Klimawandel. Alarmiert?

Christiane Paul: Umwelt interessiert mich schon lange. Ich lebe seit längerem ökologisch halbwegs korrekt. Das erste Buch, das ich nach der Maueröffnung gekauft habe, war ein ökologischer Haushaltsratgeber für meine Eltern.

Was stand da drin?

Welche Waschmittel man benutzen soll, wie man den Stromverbrauch reduzieren kann. So was. Ich schleppte dann zu Hause „Frosch“-Reinigungsmittel und Bioprodukte an. Allerdings haben mich vergangenen Herbst die Zahlen und Fakten, die veröffentlicht wurden, auf eine neue Art alarmiert. So sehr, dass mich das wirklich schlaflose Nächte gekostet hat. Seither versuche ich, in meinem Lebensstil konsequenter zu werden.

Wie Al Gore sagt: Der Klimawandel ist eine unbequeme Wahrheit?

Ja, und man muss sich wirklich fragen, ob und wie man sie verkraftet. Ich habe große Schwierigkeiten, „Wir Wettermacher“ zu lesen. Es macht dir Schritt für Schritt klar, welche Arten gerade aussterben, was an den Polen passiert, wie sich unsere Atmosphäre seit der industriellen Revolution verändert hat und welche Konsequenzen das global hat. Es ist so frustrierend, ich kann nur eine oder zwei Seiten lesen am Abend, dann muss ich aufhören. Ich denke, mit Al Gores Film ist es ähnlich: Ich kann Menschen begreifen, die sich sagen, sie wissen Bescheid, aber sie können das nicht sehen.

Am Ende bringt Flannery die Lösungen, das heitert beträchtlich auf.

Darauf arbeite ich hin. Aber es gibt ein anderes Buch, ich weiß nicht, ob Sie das kennen, von Leo Hickman, „Fast nackt“. Haben Sie das gelesen?

Nein, ich kenne nur Hickmans Kolumnen im Guardian.

Das ist ein großartiges Buch. Er beschreibt seine Erfahrungen damit, ökologisch korrekt zu leben. Auf humorvolle, intelligente und unterhaltsame Weise. Ich habe nach der Lektüre noch mal komplett alles überdacht und manches verändert.

Zum Beispiel?

Die Verwandten meines Mannes leben in Düsseldorf und normalerweise sind wir immer geflogen. Jetzt haben wir uns gesagt, wir fahren mit dem Zug, wat soll’s. Ich muss beruflich öfter fliegen, aber privat hat man andere Möglichkeiten.

Politiker sagen auch, dass sie leider beruflich fliegen müssen. Stimmt das tatsächlich?

Wenn ich nach Köln muss für eine Fernsehsendung, dann kann ich nicht fünf Stunden im Zug sitzen, um dann da für drei Minuten aufzutreten, und dann wieder fünf Stunden zurück, das ist mir natürlich auch zu viel. Aber: Auch das diskutieren wir jetzt. Es gibt Strecken, wo man auf keinen Fall fliegen muss: Frankfurt–Berlin zum Beispiel.

Kompensieren Sie Ihre Flüge?

Das werde ich beim nächsten Flugbuchen berücksichtigen. Das habe ich erst jetzt für mich entdeckt. Klimaschutz ist etwas für die Mittelschicht, lautet ein Vorurteil. Auch wenn man bei Aldi einkauft, kann man sich ja überlegen, kaufe ich jetzt Tomaten oder kaufe ich keine? Kaufe ich stark verpackte Dinge oder lasse ich das sein? Wir haben angefangen, wieder Pfandflaschen zu kaufen. Ich kaufe keine Tomaten, ich kaufe keine Gurken, wenn sie in der momentanen Jahreszeit hier nicht wachsen.

Fleisch?

Darüber diskutieren wir. Als Fleischesser ist man unglaublich stark beteiligt am globalen Klimawandel. Methan ist ja, glaube ich, das zweitwirksamste Treibhausgas neben CO2.

Und?

Wir haben es noch nicht geschafft, ganz auf Wurst und Fleisch zu verzichten, das gebe ich ehrlich zu. Wir haben uns jetzt aber zum Kompensieren vegetarische Brotaufstriche gekauft. Aber Totalverzicht halten wir leider auch nicht durch. Ich liebe zum Beispiel Steak, das muss unbedingt sein ab und zu. Aber eben in Maßen, nicht jeden Tag Fleisch. Wir diskutieren auch, ob wir in der Woche zweimal Wurst kaufen sollten. Und manchmal verzichten wir dann eben auf das zweite Mal. Das ist der Moment, wo ich dann meiner Tochter erklären muss, warum der Kochschinken alle ist und es nicht gleich neuen gibt.

Viele Leute sorgen sich, dass man etwas seltsam wird, wenn man anfängt, sich intensiv mit dem Klimaproblem zu beschäftigen.

Das hoffe ich nicht. Ich finde es einfach sehr aufregend, mich damit zu befassen. Man sieht die Welt mit anderen Augen. Man kommt in andere Gespräche und man achtet auf andere Dinge.

Keine Angst, für eine Öko-Spinnerin gehalten zu werden?

Das könnte schon sein. Ich merke auch, dass man nicht glauben darf, man könne Überzeugungsarbeit leisten. Im Endeffekt läuft es darauf raus, dass wir uns von unserem Luxus- und Wohlstandsleben langsam verabschieden müssen. Und das möchte niemand wirklich wahrhaben.

Die Verzichtfrage trauen sich gerade auch die Grünen nicht laut zu debattieren.

Aber darauf müssen wir hin arbeiten. Ich glaube, dass es anders gar nicht funktioniert. Unser Wohlstand ist nicht weiter ausbaubar. Der Luxus ist einfach begrenzt.

Viele Halbwegsverdienende lieben es, einmal im Jahr nach, sagen wir, Kalifornien zu fliegen.

Oje, der CO2-Ausstoß. Meine Güte.

Sie lachen. Aber können die sich tatsächlich mit der Fränkischen Schweiz arrangieren?

Tja. Darüber muss man diskutieren und nachdenken. Denken Sie an Leo Hickman. Was er und seine Frau am liebsten machten, waren Fernreisen. Das war vorbei, als sie Ernst machten.

Sie fuhren dann mit dem Zug in Urlaub?

Genau. Er konnte seine Frau zu diesem ganzen Experiment aber auch nur überzeugen, nachdem er ihr ein Prada-Täschchen gekauft hatte. Das fand ich so total herrlich. So weit sind wir nicht. Wir möchten auch in den Süden, und da fliegen wir auch. Aber wir hatten zwischendurch überlegt, ob wir zweimal fliegen. Ich habe gesagt: Wozu? Jetzt fahren wir an die See und es ist gut.

Was nützt mein Verzicht, heißt es gern, wenn die Milliarden Chinesen gerade erst mit dem Emittieren loslegen?

So kann man nicht argumentieren.

So wird argumentiert.

Ich weiß. Es geht aber nicht darum, was die Leute in China machen, sondern erst mal darum, was wir hier machen. Und wir können nicht erwarten, dass sich da drüben was tut, ehe wir was tun.

Also Kalifornien, ade?

Ich glaube, wenn man schon darüber redet, setzt man etwas in Bewegung und vielleicht führt es am Ende dazu, dass man im Sommer nicht nach Kalifornien fliegt. Wir verschenken jetzt das Hickman-Buch allerorts.

Und die Beschenkten lesen das auch?

Ja. Eine Freundin hat mich angerufen und hat gesagt: Ich sehe die Welt jetzt anders. Ob sich dann wirklich was ändert, ist eine andere Sache, aber zumindest haben sie sich damit auseinandergesetzt.

Ein Grund dafür, dass Leute fatalistisch sind: Sie glauben nicht, dass die notwendigen Maßnahmen global vereinbar sind.

Wenn viele Einzelne zu Hause Energie sparen, wirkt sich das aus. Es wäre auch interessant, wenn tatsächlich viele Leute dem Aufruf von Renate Künast folgen würden und einen Toyota Prius kauften. Dann hätte die deutsche Automobilindustrie ein Problem. Und natürlich auch eine Chance! Ich hoffe sehr, dass sie nachziehen. Die Konsumenten entscheiden letztendlich darüber, wer wie viel Profit einfährt. Wenn die Leute bewusster kaufen, hat eine bestimmte Industrie auch nicht mehr die Macht, die Politik zu beeinflussen.

Also muss es doch der bewusste Verbraucher richten, indem er sein Geld den Richtigen gibt?

Ja, aber auf der Grundlage von Richtlinien, die die Politik festlegen muss. Es ist an der Zeit, wirklich konsequent zu sein. Die Politiker haben nicht Interessen der Lobbyisten zu vertreten, sondern die Interessen der Gesellschaft zu verteidigen. Und die Zukunft der Gesellschaft. Andererseits ist mir sehr wohl bewusst, dass die kleine wohlhabende Mittelschicht in Mitteleuropa sich Klimaschutz auf eine Art leisten kann, aber das Gros der Weltbevölkerung unter ganz anderen Lebensbedingungen existiert. Unzählige kämpfen ums tägliche Überleben, um ihr tägliches Brot.

25.000 Euro für einen Prius, heißt es, das können sich auch hier nur die Besserverdienenden leisten. Die Armen werden derweil mit ihren alten Autos aus den Innenstädten ausgesperrt.

Zunächst geht es mal um die Leute, die sich einen Neuwagen anschaffen. Das sind Leute, die die finanziellen Mittel haben, solche Entscheidungen zu fällen, das ist richtig. Ich habe einen Škoda. Ich kann mir jetzt auch nicht plötzlich ein Hybrid-Auto kaufen. Mein Mann fährt Lupo, und der sagt, es ist unglaublich, der Wagen verbraucht 7 Liter. Hätten wir uns bewusst gemacht, dass es damals auch einen 3-Liter-Lupo gab, hätten wir natürlich den gekauft.

Bisher werden Autos emotional-sexuell aufgeladen und hauptsächlich für große Jungs gemacht, bei denen die Technikfreude und/oder ein bisschen Angeben im Vordergrund steht.

Mag sein. Ich denke, erstens wird man die Leute künftig stärker über einen geringeren Verbrauch kriegen können. Was die Aufladung betrifft: Dafür gibt es Leute, die Marketing und Werbung machen. Die werden das doch hoffentlich auf die Reihe kriegen. Was lachen Sie denn so?

Verzeihen Sie.

Ich meine, das ist doch nicht unser Problem. Jede poplige Fernsehzeitschrift wird verkauft, indem sie sexuell aufgeladen wird. Da werden die es doch schaffen, ein schönes Umweltauto zu verkaufen.

LOGISCH – DAS NEUE TAZ-JOURNAL

Das Interview mit Christiane Paul ist ein Vorabdruck aus dem heute erscheinenden, neuen taz-Journal „Logisch. Wie wir alle besser leben“. „Logisch“ ist nach „Es ist Liebe“ (Fußball-WM) und „Dutschke und Du“ (Leben und Sterben von Rudi Dutschke) die dritte Ausgabe des neuen taz-Journals. Thema diesmal: Leben in Zeiten des Klimawandels.

Es geht dabei nicht um die große Politik oder die große technologischen Entwicklung. Es geht um – Sie. Es geht um – uns, als kritische Konsumenten. Das gilt für Autos, Treibstoffe, Lebensmittel, Reisen, Banken, Atom- und Kohlestrom. Was Sie – neben dem Interview mit Christiane Paul – sonst noch erwartet? Hier einige Themen:Klima: Warum alle auf Al Gore abfahren Auto: Warum der grüne Politiker Hans-Josef Fell Prophet der Null-Emission ist – und zwei Autos fährt Essen: Wie Starkoch Vincent Klink den Kirschjoghurt von Lidl findet Reisen: Wenn ich nicht mehr fliege, muss ich mir eine Frau suchen Geld: Was Johannes Hoffmann, der Vater des ethischen Investments, rät. Das neue taz-Journal hat 96 Seiten und kostet 7 Euro.

Die Release-Party zum neuen taz-Journal findet heute, 20 Uhr, im taz-Café in Berlin (Kochstraße 18) statt. Der Eintritt ist frei. Der Popmusiker Bernd Begemann („Ikea-Falle“, „Christiane“, „Zwei Mal zweite Wahl“, „Kein Glück im Osten“) spielt exklusiv und aus gegebenem Anlass auf seiner Ö-Gitarre – Ö wie Ökostrom.

Der Hybrid gilt in Kalifornien inzwischen als Möglichkeit für die Mittelschicht, ihren Lifestyle den Hollywood-Glamour-Promis nachzuempfinden.

Warum denn nicht? Wenn man statt eines neuen Rocks von Prada ein Hybridauto kauft, finde ich das total okay.

In Deutschland gibt es noch nicht viele Prominente, die Hybrid fahren und damit für Klimaschutz stehen.

Ich weiß gar nicht, ob es überhaupt schon jemanden gibt. Ich weiß nur, dass ich mir erst seit drei Monaten bewusst bin, dass Toyota Hybridautos baut. Ich hab mich nie für Toyota interessiert.

Woran liegt die Zurückhaltung?

Das hat mit der ganzen Starkultur zu tun. Und außerdem ist das Star-Marketing, dass Stars als Werbeplattform und Multiplikatoren dienen, in Deutschland noch längst nicht so weit entwickelt wie in den USA. Wer weiß denn, ob Toyota die Leute dort nicht gesponsert hat, die Wagen zu fahren? Es gibt auch hier Autofirmen, die Schauspieler sponsern, aber nie so professionell und so flächendeckend, wie es in Hollywood passiert.

Wir haben Werbeshows für große, klimafeindliche Autos wie „Wetten, dass …“, aber es gibt keine TV-Formate, wo ein klimabewussteres Leben auch zelebriert wird. Warum nicht?

Das wird als unsexy empfunden. Im Klimabewusstsein steckt der Gedanke, dass man das Leben auf diesem Wohlstandsniveau nicht mehr lange halten wird. Das ist für viele erschreckend.

Sehen Sie einen europäischen Politiker oder Umweltaktivisten, der das Thema authentisch machen würde? Wie Al Gore in den USA?

Was ist mit Klaus Töpfer?

Ein Elder Statesman.

Okay. Aber mich hat immer überrascht, dass der ja eigentlich CDU ist. Als ich irgendwann merkte, wie der Bescheid weiß über Umweltveränderungen, Globalisierung, Dritte Welt, dass und wie alles zusammenhängt – das fand ich hochinteressant.

Was ist mit aktiven Politikern?

Herr Gabriel hat das Problem, dass man ihm sein Klima-Engagement nicht wirklich abnimmt. Man ist ja etwas überrascht gewesen, dass er mal Umweltminister wird. Aber aus welchen Gründen auch immer, er versucht sich da jetzt zumindest reinzuknien. Herr Schwarzenegger engagiert sich ja auch sehr für Umweltschutz. Mir ist es letztendlich egal, welche Motivation er hat, es dient dem guten Zweck, das zählt. Aber als Vorbilder taugen Politiker leider schon lange nicht mehr.

Warum nicht?

Man glaubt ihnen nicht.

Andere Vorbilder, die für einen Wert stehen?

Nein, kenne ich keine. Die Vorbilder, die heute existieren, sind Vorbilder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes. Aber wenn es immer noch dafür reicht, dass Brad Pitt und Angelina Jolie ins Hurricane-Gebiet nach New Orleans ziehen und da eine ökologische Energiesparsystemvilla bauen, dann finde ich das sehr okay.