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Archiv-Artikel

Die Gnadenbrotaufschneider

Heruntergekommene Berufe. Heute: der Koch (Fernsehsuppenkasper)

Der mediale Brutzelterror hat große Wirrnis in die Köpfe der Menschen gesenkt

François Vatel, Erfinder der Creme Chantilly und gerühmt als größter Koch seiner Zeit, stürzte sich 1671 in sein Schwert, weil er fürchtete, eine verspätete Fischlieferung könne die Komposition eines Festmahls für König Ludwig XIV. beeinträchtigen, was Madame de Sévigné, die berühmteste Briefschreiberin ihrer Zeit, zu dem Bonmot veranlasste, gewisse Personen sollten sich an dem „Verantwortungsgefühl“ des Mannes ein Beispiel nehmen.

Ob die Sévigné dabei Vatels Zunftkollegen vor Augen hatte, ist nicht überliefert, aber sehr wahrscheinlich. Denn das Gewerbe der Köche ist seit langem nicht nur jenseits der großen Mauer gründlich auf den Hund gekommen. Wo einst goldenes Handwerk und bodenständiges Raffinement die Speisen würzte, wachsen heute Gestalten wie Zacherl und Mälzer, Schuhbeck und Sass, Kleeberg und Herrmann, Lafer und Lichter, mithin Schnauz-, Ziegen- und Zwirbelbärte, Dummdreistheit und Eselei, Windigkeit und Größenwahn heran.

Schuld ist selbstverständlich das Fernsehen, wo diese heruntergekommenen Hummermörder dem Volk ungestraft in die Töpfe respektive auf den Grill spucken dürfen. Sie ersäufen arme Schweine in Kokosmilch, harmlose Rindsrouladen in Ingwersud, und die brave Kartoffel schwimmt statt in guter Soße in Garnelen-Sour-Creme mit Algen- oder Chinagrasbesatz.

Die horribelsten Küchenteufel heißen Zacherl, Baudrexel, Marquard und Kotaska und verheeren im Auftrag von RTL II ehrenwerte Salmonellenbrutstätten wie die „Schlachthofgaststätte Augsburg“, die Marler „Partykneipe Sombrero“ oder den „Truckstop Feuchtwangen“. Wenn sie wieder gehen, haben Kartoffelsalat, Bouletten und Leberkäse ausgespielt. Stattdessen kaut der Trucker Chikoreeblätter am Wachtelei und macht fortan einen großen Bogen um die kulinarische Wüstenei.

Dass die Fernsehsuppenkasper derlei Geschmacksverirrungen als moderne, vulgo internationale Küche verkaufen, ist Programm. Geduldet und befeuert von den Kalorien- und Erbsenzählern der Obrigkeit, die, weil sie ansonsten nicht mehr viel zu bestellen hat, ihren Untertanen nebst dem Rauchen und Saufen nun auch die Mehlschwitze, die Currywurst und das Schmalzbrot zu verleiden gedenkt. Und so lässt sie ausschwärmen ihre AOK- und Barmer-Ersatz-Kassenwarte und verkünden einem jeden das Strafgericht, den man coram publico rauchen, saufen und fettig essen sieht, durch Geldbußen und Schläge auf Wanst und Hinterkopf, bis alles Widerständige exorziert und aus dem deutschen Ringe-Bläser, Biertrinker, Presssack und Daumendreher ein Kuli und Packesel wie der Chinese oder ein rechter Schmalhans und Hungerkünstler geworden ist wie der Inder, der Negus oder Victoria Beckham, auf dass er sich endlich problemlos einpasse in das Gefüge globaler Leanproduction.

All das hat große Wirrnis in die Köpfe der Menschen gesenkt. Zum Beispiel in Hannover. Dort saß der Gastronom Störzer spätabends in seiner Traditionswirtschaft „Fuchsbau“ und verspeiste ein Wiener Schnitzel. Neben ihm hockte ein Mann namens Schramm über einem Krug Bier. Plötzlich, sagt Störzer, habe Schramm ihm, Störzer, den Teller unter dem Besteck weggezogen, das Schnitzel auf den Boden geworfen und fuchsteufelswild darauf herumgetrampelt. Dann habe er das Fleisch wieder auf den Teller gelegt und ihm mit den Worten untergeschoben: „Du verdienst es nicht anders.“

Damit sei die peinliche und unappetitliche Situation aber nicht beendet gewesen, vielmehr habe Schramm seine Bemerkung nicht nur mehrmals wiederholt, er sei auch an die Nebentische getreten, wo er mit dem Zeigefinger auf den völlig konsternierten Störzer weisend immer wieder gerufen habe, „der da verdiene es nicht anders“. Schramm sei außer Rand und Band und einfach nicht zu beruhigen gewesen, weshalb der Wirt sich schließlich genötigt sah, die Polizei zu rufen. Auf die Frage der Beamten, was um alles in der Welt Störzer denn verbrochen habe, sagte Schramm: „Fragt’s doch den Schuhbeck.“

Zwei Tage später betrat das bis dato unbescholtene Rentnerpaar Lachner die Bäckerei Monz in Hannover und verlangte ein halbes Gnadenbrot. Auf die Auskunft, so etwas führe man nicht, habe Lachner, laut Polizeibericht, hysterisch aufgelacht und ohne Vorwarnung begonnen, die Bäckerei zu verwüsten. Torten, Brötchen, ganze Schwarz- und Weißbrote, letztlich sogar Milch- und Kakaotüten seien auf den Tresen geknallt, auf dem Boden zerplatzt oder auf den Köpfen der Kundschaft gelandet, immer begleitet von dem höhnischen Gewieher des Lacher und dem Gekreisch seiner Gattin. „So weit sei es schon wieder in Deutschland: Gestern kein Ticket für Kerners Kochshow gekriegt, und jetzt verkauft man uns nicht mal mehr ein Gnadenbrot“, schrie der Lacher.

Ähnliche Vorfälle in Ruhpolding, Vechta, Offenbach, Jena und Berlin, wo eine Abordnung des Hausfrauenbundes im Prominentenlokal „Borchardt“ randalierte, haben nun den Bundesminister des Inneren auf den Plan gerufen. „Ich will hier in Ruhe essen“, sagte Schäuble. Eine Gesetzesnovelle gegen den medialen Brutzelterror sei in Arbeit.

MICHAEL QUASTHOFF