: „Geheizt, gekocht, geschlafen“
BACKSTEINE In der Weimarer Zeit wurde Hamburg mit neuen Arbeitervierteln zur Backsteinstadt. Der Baustoff steht auch heute noch hoch im Kurs: Auch weil er so wetterbeständig ist, dass man über Jahrzehnte nichts an der Fassade machen muss. Mittlerweile gibt es neue Designideen und Dämmtechniken, die allerdings umstritten sind
In Gegenden mit wenig Naturstein werden Backsteine seit Jahrtausenden zum Hausbau genutzt: In Italien seit der Römerzeit, im nördlichen Europa wurden sie besonders seit dem Mittelalter für den Hausbau verwendet. In Sachen Qualität und Wetterbeständigkeit unterscheiden sich die Macharten aber.
■ Einfache Backsteine aus Lehm werden bei weniger als 1.000 Grad gebrannt, sie sind nicht sehr stabil und offenporig, weshalb sie relativ viel Wasser aufnehmen können. Um die Wetterfestigkeit zu erhöhen, werden sie deshalb verputzt – oder auch mit einer Außenwand aus Klinker wetterbeständiger gemacht.
■ Klinker werden bei hohen Temperaturen gebrannt, dabei schließen sich die Poren des Ziegels und nehmen kaum mehr Wasser auf. Klinker sind deshalb besonders witterungsbeständig. Eingesetzt werden sie als Vormauerziegel oder als Pflasterstein.
■ Klinkerriemchen sind Ziegelscheiben, die auf Gebäude geklebt werden und so als Fassadenverkleidung den Eindruck eines massiven Mauerbaus vermitteln sollen.
VON EVA THÖNE
Zwischen den zwei Wohnhäusern im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg liegt nicht nur eine Straße, sondern auch ein Zeitsprung von gut 80 Jahren. Auf der einen Straßenseite: Kastige Glaserker, eine geriffelte, verspielt geschwungene Fassade, ein graues Faltdach, das sich dreizackig in den Himmel hebt. Auf der anderen Seite: Reihenhäuser mit kleinen Fenstern, klassisch rote Ziegel auf spitzem Satteldach.
Was die Nachbarhäuser verbindet: Ihre Fassaden sind von Kohleablagerungen verfärbt, ein Nuancenspiel zwischen Rot und Schwarz. Offenporiger Klinker, der sich rau anfühlt. „Bei Klinker verändert sich über die Zeit vielleicht die Farbe, aber nicht die Qualität“, sagt die Ingenieurin Britta Küest. Was auch daran liegt, dass Klinker wasserabweisend sind. Dafür wird der Ton bei besonders hohen Temperaturen gebrannt.
Die Wetterbeständigkeit führe dazu, dass man über Jahrzehnte nichts an der Fassade machen müsse, betont die Ingenieurin, die den Bau des neuen Klinkerhauses leitete. Noch ein zweites Haus hat Küests Architektenbüro entworfen und gebaut.
Die Häuser sind Teil des „Weltquartiers“, das das städtische Wohnungsunternehmen Saga-GWG zur IBA im vergangenen Jahr realisiert hat. Öffentlich gefördertes, interkulturelles Wohnen: ein teures Vorzeigeprojekt. In dem Hausteil, in dem Küest noch mit der Bauleiterin arbeitet, ziehen gerade die ersten Mieter ein: Auf fünf von acht Klingelschildern stehen schon Namen.
Bald sollen in den 75 Wohnungen Menschen aus über 30 Nationen zusammenleben. In der kleinen Klinkerhausreihe gegenüber wohnten in den30er-Jahren noch Werft-Arbeiter. „Dass wir mit Klinker arbeiten, war von vornherein klar“, sagt Küest. Man wollte bestehende Traditionen neu interpretieren.
Seit Jahrhunderten wurde Backstein im Wohnbau Hamburgs – wie überall in Deutschland – genutzt. Aber vor allem der Bevölkerungszuwachs zu Beginn des 20. Jahrhunderts führte dazu, dass roter Backstein bis heute mit dem Stadtbild assoziiert wird wie mit keiner anderen deutschen Stadt. Die Quartiere in den Gängevierteln reichten nicht mehr aus, um die Masse an Arbeitern, die in die Stadt drängte, unterzubringen.
„Die Häuser waren überlaufen von Wohnparteien, überall wurde viel geheizt, gekocht, geschlafen, die Räume wurden bis auf den letzten Zentimeter ausgereizt“, sagt Ivo Krings, Stadtplaner in Hamburg und Experte für Städtebau. „Hamburg hinkte hinterher bei der arbeiterfreundlichen Stadtentwicklung, war als eine von Reedern dominierte Stadt nicht so progressiv wie etwa Berlin.“
Das änderte sich als Fritz Schumacher 1909 als Baudirektor nach Hamburg kam. Wichtige Bauwerke aus Backstein wie das Holthusenbad und die Davidwache entstanden unter seiner Schirmherrschaft. Schumachers Engagement zielte dabei immer auf menschenwürdiges Leben und Wohnen in der Großstadt – aufklärerisch, klarsichtig und pragmatisch. In den von ihm entworfenen Backsteinschulen gab es Brunnen, um Natur und Bildung zu verknüpfen. Im Stadtpark entstand unter seiner Leitung ein Bauernhof mitten in der Stadt, damit die neuen Städter nicht vergaßen, woher die Milch kam. Seine Ideen prägten das moderne Hamburg. Backstein war als Baustoff der Wahl dabei günstiger als Sandstein, beständig und nachhaltig.
„Er verknüpfte Fantasie mit Handwerklichkeit“, sagt Krings über Schumacher, der sich in seinem Hausbau auch von den frühen New Yorker Wolkenkratzern aus Backstein inspirieren ließ. Zu Beginn der Schumacher-Zeit war der neue Backstil noch verspielter: pittoreske Backsteinfassaden mit Gesimsen, Vorsprünge und Ornamente.
Mit der neuen Sachlichkeit, die dem Historismus des 19. Jahrhunderts eine radikale Schlichtheit entgegensetzte, wurden auch Schumachers Häuser simpler, die Fassaden glatt und nüchtern. Mehr als 90 Gebäude und Brücken entstanden unter Schumacher, viele von ihnen aus Backstein, bis er 1933 von den Nazis zwangspensioniert wurde – warum genau, ist bis heute unklar.
Im Zweiten Weltkrieg wurde mehr als die Hälfte der Backsteinbauten zerstört, viel von Schumachers Werk. „Direkt nach dem Krieg wurden viele Backsteinbauten schnell wieder aufgebaut, aber oft mit kriegsgeschädigten Materialien“, sagt Krings. „Viele von diesen Gebäuden sind deshalb heute am Ende.“ Ab 1956 blühte zusammen mit dem Wirtschaftswunder auch wieder der Klinkerbau in Hamburg; jetzt wurde auch viel gelber, heller Klinker verbaut. „Der schwere, rote Stein“ war Krings zufolge viel zu sehr mit der Nazi-Zeit konnotiert. Heute verschwinden die alten Klinkerfassaden. Die Backsteinhäuser sind weit von modernen Wärmeschutzstandards entfernt. Durch die strengere Energieverordnung, mit der die Stadt den CO2-Ausstoß senken will, müssen die Häuser nun besser gedämmt werden. Fassaden verschwanden hinter Isolierschichten aus Styropor und Mineralwolle. Die Dämmindustrie blüht.
„Wie viel die Außendämmungen für die Gesamtökobilanz eines Hauses bringen, ist umstritten“, betont Krings, der sich in der Hamburger „Fritz Schumacher Gesellschaft“ für den Erhalt der alten Fassaden engagiert. Krings befürchtet zudem, dass die alten Arbeiterquartiere durch die Außendämmungen weiter an Wertigkeit verlieren.
Küest konnte mit ihrem Projekt in Wilhelmsburg den aufwendigen, teuren Weg gehen. Sie hat das Gefühl, dass in Hamburg Klinkerneubauten von öffentlicher Hand heute häufig gefördert werden. Ihr Klinkerhaus ist bis in die allerletzte Firstspitze gedämmt, erfüllt Passivhausstandards.
Auch hier standen zuvor die alten Klinkerhäuser aus dem frühen 20. Jahrhundert, für deren Abriss die Bewohner zeitweise umgesiedelt wurden. „Die Mieten sind um 13 Cent pro Quadratmeter gestiegen“, sagt Küest. Dafür seien die Heizkosten aber geringer.
An einem Nachbarhaus neben dem Neubau wurde eine alte Backsteinfassade mit einer Außendämmung verkleidet. Darüber verklebt sind sogenannte Riemchen: eine sparsame Imitation echter Ziegel. Für Küests Architektenbüro wären sie als Alternative zum echten Klinker nicht in Frage gekommen. Denn diese angeklebten Riemchen halten nicht, bemerkt Küest. Manchmal fielen sie einfach ab.