Bremen macht in Synästhesie

Sir Peter Maxwell Davies, der „Master of the Queen’s Music“, hat den ersten Teil des „Bremer Komponistenzyklus“ verfasst. Ausgangspunkt sind Bilder und Texte von Paula Modersohn-Becker, für die sich Davies schon lange begeistert

In den Sphären eines „Master of the Queen’s Music“ ist jede Geste bedeutungsinspiriert. Seit Peter Maxwell Davies Ehrendoktor der Uni Oxford wurde, nimmt er gern die 92. Symphonie von Joseph Haydn ins Programm – der nämlich bedankte sich mit ihr für die gleiche Ehre. In Bremen ist nun eine nicht ganz so subtile Form musikalischer Referenz zu erleben: Davies bringt Teil eins des „Bremer Komponistenzyklus“ zur Uraufführung.

„Stadtschreiber“ oder „Artists“ jeglicher Couleur „in Residence“ hat mittlerweile jede dritte Stadt. Aber einen eigenen Zyklus? Musiker, die für und inspiriert von Bremen komponieren? Auftraggeber ist nicht das Stadtmarketing, sondern die Philharmonische Gesellschaft, die sich seit 183 Jahren der Förderung der jeweils zeitgenössischen Musik widmet. Bis 2010 – das Jahr, in dem Bremen doch nicht „Kulturhauptstadt Europas“ ist – erstreckt sich der Uraufführungs-Reigen, Krysztof Penderecki steuert ein Hornkonzert bei, 2008 ist Christian Jost mit einem Cello-Konzert dran, dann der Lette Peteris Vasks. Eine beachtliche Auswahl.

Davies hat seinen Beitrag auf einer windigen Orkney-Klippe geschrieben, auf der er seit fast dreißig Jahren haust. Die Stimmungen, in die er sich dabei vertieft hat, sind freilich anderer Natur. Ausgangspunkt des Werks sind in Worpswede und Paris entstandene Bilder von Paula Modersohn-Becker. Seit er 1951 als Austauschschüler nach Hamburg kam, sei er Modersohn-Becker-begeistert, sagt Davies. Jetzt habe er entsprechende „Erinnerungen“ zusammengefasst. „Reflections on the Life and Words of Paula Modersohn-Becker“ hat der 72-Jährige in seiner schnörkeligen Schrift über die Partitur geschrieben.

In den Texten der Malerin fand Davies auch den Kompositionstitel: „Das Rauschende der Farbe“ – eine Formulierung aus einem Brief an Bernhard Hoetger, Architekt der Bremer Böttcherstraße, in der mit dem Modersohn-Becker-Haus das weltweit erste einer Künstlerin gewidmete Museum entstand.

Modersohn-Beckers „Nächtliche Landschaft“, Grundlage des ersten Satzes, ist eine bemerkenswert abstrahierte Komposition dunkler Flächen, durchsetzt mit Lichtexplosionen, „Das war leicht“, sagt Davies trocken. „Man könnte denken, der zweite Satz war auch leicht“, fügt er hinzu. Doch „Tanzende mit Musikanten“ habe sich als kompliziertes Beziehungsgeflecht erwiesen. „Sie ist furchtbar allein“, sagt Davies über die „Tanzende“. Das Image der genial-unerkannten früh Verstorbenen scheint auch bei ihm fest verankert.

Mit dem „Vorbild“ für den dritten Satz hat er sich allerdings, wie schon bei „Nächtliche Landschaft“, für etwas meist im Archiv Schlummerndes entschieden: Es ist der Abdruck eines frisch gemalten Selbstporträts auf ein Stück Zeitung. Das Gesicht wirkt wie von einer Totenmaske festgehalten, freilich in sehr lebendigem Rosa und mit vollen roten Lippen. Davies hat dieses ambivalente Werk, das tatsächlich kurz vor Modersohn-Beckers Tod entstand, zu einem langsamen Finalsatz („sehr ernst, sehr viele Streicher“) inspiriert.

Soweit die kompositorische Theorie. Wie war die Probe? „Ja ja“, sagt der Meister. Natürlich sei er „sehr zufrieden“. Wobei erste Proben zu einer Uraufführung schon recht „nervtötend“ seien. Die erste Klippe mit den schottischen Spezialrhythmen sei jedoch genommen. Er ist Mühevolleres gewohnt: Viele seiner auf den Orkneys entstandenen Werke lässt er vom dortigen Schulorchester uraufführen. Henning Bleyl

„Sir Peter live“: Montag und Dienstag (jeweils 20 Uhr) in der Bremer „Glocke“