: Sie sehen nicht gut aus, aber sie haben viel Energie
KONZERT Am Freitagabend verausgabten sich Iron Maiden auf der Bühne der O2-World – ihrem fortgeschrittenen Alter zum Trotz
Hätten sich die Kicker der deutschen Fußballnationalmannschaft, deren Spiel gegen Österreich zur selben Zeit statt fand wie der Auftritt Iron Maidens in Berlin, nur halb so verausgabt wie der Sänger der englischen Band auf der Bühne der O2-World, wären sie bestimmt nicht so ins Schwimmen gekommen. Ununterbrochen eilte Bruce Dickinson, der Mann mit der markanten Falsett-Stimme, umher, manchmal mit einem übergroßen Mikroständer in der Hand, scheinbar ständig unter Strom stehend. Er nutzte die ganze Bühne für seinen Dauerlauf und die bizarren Bühnenbauten – eine Art militärisches Camp – noch dazu. Immer wieder turnte er auf den Attrappen der Militärcontainer herum, um mit dieser Selbstbeschäftigung die vielen Gitarrensoli und teilweise ausufernden Instrumentalpassagen zu überbrücken. Der Mann, der als einziges Bandmitglied keine Metal-typische Langhaarmatte trägt, bestritt das Konzert wie einen workout.
Die ganze Packung
Kollegen aus der Metal-Branche wie die Scorpions sind gerade dabei, sich endgültig von der Bühne zu verabschieden, weil sie glauben, anständigen Heavy Metal nicht mehr mit ihrem fortgeschrittenen Alter in Einklang bringen zu können. Iron Maiden aber wissen, was sie ihren Fans schuldig sind: Es muss einfach immer weitergehen, obwohl gemunkelt wurde, der Titel der aktuellen Iron-Maiden-Platte „The Final Frontier“ deute auf ein baldiges Ende der Band an.
Doch in Berlin bekam das Publikum in der ausverkauften Halle nochmals die ganze Iron-Maiden-Packung. Das Material der neuen Platte, das mit erstaunlich vielen soften Elementen angereichert wurde, wurde eher höflich denn begeistert aufgenommen. Aber wenn dann die alten Hits wie etwa „Two Minutes to Midnight“ ausgepackt wurden, flippten tausende von Headbangern mit ihren Iron-Maiden-T-Shirts, ihren Iron-Maiden-Kutten und ihren Iron-Maiden-Frisuren in der Halle völlig aus. Da machte es auch nichts, dass der Sound immer wieder schrecklich breiig klang, dass das auf Platte so sagenhaft knackig klingende Bassspiel von Steve Harris versumpfte und dass Bruce Dickinson – vielleicht auch aufgrund all seiner Herumrennerei – nicht jeden Ton traf.
Es war verrückt zu sehen, wie ein paar alte Männer mit faltigen Gesichtern und schütteren Haaren mit Hilfe von vielen herrlich unsinnigen Showkaspereien die Menge begeisterten. Die Bühnenbilder wechselten ständig und erzählten irgendeine Geschichte. Irgendwie ging es um Globalisierung und Apokalypse oder so etwas. Mal sah man ein Segelschiff in tobender Gischt, dann Eddie, das berühmte Band-Maskottchen, während im Hintergrund ein Atompilz zu sehen war. Denkt man die Sache mit den Militärbauten auf der Bühne weiter, dann war das Thema wohl unsere Welt als Dorf und die Erkenntnis, dass man in unserer totalvernetzten Zeit überall und ständig und selbst im eigenen Wohnzimmer an der Front zu irgendeinem Krieg oder einem Konflikt ist. Am Ende des Konzerts betrat dann natürlich Eddie noch leibhaftig die Bühne. Eddie, der über all die Jahre und Jahrzehnte immer wieder anders aussah, ist aktuell ein schleimig grünliches Swamp-Thing. Eddie sah wie die Männer der Band bestimmt auch schonmal besser aus. Aber das machte nichts. Er war da, und das allein war schon großartig genug. ANDREAS HARTMANN