: Stadt verbaut Kindern die Zukunft
Eltern sind weiterhin in Berlin eine Minderheit – und so fühlen sie sich auch. Sie halten die die Stadt für wenig kinder- und familienfreundlich, kritisieren ignorante Arbeitgeber und unflexible Betreuungseinrichtungen. Das ergibt eine neue Umfrage
VON RICHARD ROTHER
„Hunde sind in Berlin wichtiger als Kinder.“ Diese wenig schmeichelhafte Aussage Berliner Eltern zeigt: Die Stadt ist alles in allem viel zu wenig kinderfreundlich. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Studie „Berliner Elternbefragung 2006“, die das Berlin-Brandenburg Institut für Sozialforschung und Sozialwissenschaftliche Praxis (BIS) erarbeitet hat.
Zwar ist die Studie nicht repräsentativ, alarmierend sind die Antworten, die mehr als 350 Eltern auf dem BIS-Fragebogen ankreuzten, aber allemal. Sie zeigen, wie unzufrieden viele Berliner Eltern insgesamt sind. Kritisiert werden vor allem die mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die katastrophale Lehrstellensituation, unflexible Kinderbetreuungsmöglichkeiten und mangelnde Spielplätze für ältere Kinder. Positiv fallen das breite Kulturangebot, der öffentliche Nahverkehr und die Toleranz gegenüber unterschiedlichen Lebensstilen auf.
Allerdings sind Eltern in Berlin längst zu einer Minderheit geworden. Nur in einem Viertel aller Berliner Haushalte leben Kinder, stellt die BIS-Studie ernüchtert fest. Wichtigstes Problem der Eltern ist ihre Einkommenssituation: Im Durchschnitt haben Berliner Familien ein Nettoeinkommen von 2.000 Euro; Ehepaare ohne Kinder kommen durchschnittlich auf 2.125 Euro. Gegenüber Kinderlosen ist ein Paar mit Kindern also doppelt benachteiligt: Es hat höhere Ausgaben und geringere Einnahmen – etwa weil ein Elternteil nur in Teilzeit arbeitet oder schneller als ein Kinderloser arbeitslos wird, weil er nicht so flexibel ist. Außerdem wachsen 16 Prozent der Berliner Kinder in Armut auf, deutschlandweit sind es nur 11 Prozent.
Beruf und Familie
Besonders negativ schätzen die befragten Eltern ihre Möglichkeiten ein, Beruf und Familie zu vereinbaren. So sagt nur jeder dritte Elternteil, dass Kindergarten- und Arbeitszeit zusammenpassen. Flexible Arbeitszeiten in familiären Notfällen kennen nur 40 Prozent, einen Betriebskindergarten gerade mal 9 Prozent. Ein Lichtblick: Nur jeder Fünfte klagt über Probleme, die Elternzeit – ein Rechtsanspruch – bei seinem Arbeitgeber bekommen zu haben. Aber jeder dritte Arbeitnehmer mit Kindern hat Schwierigkeiten, familienfreundliche Urlaubszeiten in Anspruch zu nehmen.
Betreuung
Das wiederum kollidiert häufig mit den Kindergärten. „Die Schließzeiten von den Kitas im Sommer finde ich unmöglich“, klagt eine Berliner Mutter. „Die machen einfach zu, und die Eltern müssen sehen, wie sie ihr Kind betreut kriegen.“ Insgesamt sind die Eltern mit dem großen Angebot an Kitas durchaus zufrieden; sie bemängeln aber unflexible Betreuungszeiten. Mit den Kindergärten sind immerhin 50 Prozent der Befragten zufrieden, mit den Horten und Krippen sind es deutlich weniger.
Kulturangebote
Überwiegend positiv hingegen schätzen die Eltern das breite Angebot an Kultur- und Freizeitmöglichkeiten für Kinder ein. Mehr als 40 Prozent finden das Angebot insgesamt ausreichend, 35 Prozent finden es nicht ausreichend. Im Detail finden sich aber auch hier Differenzierungen: So hält eine überwiegende Mehrheit die Ausstattung mit Kinos, Bibliotheken und Theatern für ausreichend, Defizite werden aber bei den Sportplätzen gesehen. Unzureichend wird hingegen das Angebot an Hallenspielplätzen und Jugendclubs gesehen. Größtes Manko allerdings: Alles kostet Geld, und das haben viele Familien nicht.
Nahverkehr
Durchaus positiv finden Eltern das Angebot im öffentlichen Personennahverkehr. Die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr beurteilen 80 Prozent der Eltern als ausreichend. Deutlich weniger zufrieden sind die Eltern, wenn sie mit einem Kinderwagen in öffentliche Verkehrsmittel einsteigen wollen.
Ausbildung
Dramatisch schlecht wird die Ausbildungssituation Berliner Jugendlicher eingeschätzt. Vier Fünftel finden das Lehrstellenangebot unzureichend, ausreichend finden es gerade mal 3 Prozent. Die Studienmöglichkeiten werden deutlich besser, aber keineswegs positiv eingeschätzt.
Die befragten Eltern unterbreiten – jenseits aller berechtigten Kritik – auch Verbesserungsvorschläge, deren Umsetzung das Leben mit Kindern erleichtern könnte. So fordert einer mobile Toilettenhäuschen auf Spielplätzen, eine andere wünscht sich eine Liste mit kinderfreundlichen Vermietern.