: „Radio Eriwan“ macht ernst
In Armenien wird gewählt, und jetzt müssen korrupte Politiker die Wähler beglücken
MOSKAU taz ■ Die Armenier sind ein Volk begnadeter Humoristen. Schon zu Sowjetzeiten war „Radio Eriwan“ eine feste Instanz, die die UdSSR mit feinsinnigem Witz versorgte. Viel mehr hatte der ärmliche Landstrich im Südkaukasus auch nicht anzubieten. Am Wochenende finden dort Parlamentswahlen statt, an denen 24 Parteien teilnehmen. Auch dies sehen einige Armenier mit Humor: Wer in den zwei Dutzend Parteiprogrammen fünf Unterschiede feststellen könne, erhalte einen Preis.
In der Tat spielen programmatische Unterschiede im Wahlkampf eine untergeordnete Rolle. Die Wählerschaft ist darüber nicht erbittert. Nüchtern bewerten die Armenier den Urnengang als eine Entscheidung zwischen politischen Eliten, die ohne Ideen und Prinzipien auskommen. Was zählt, sind die materiellen Zuwendungen der Kandidaten im Vorfeld.
In Umfragen des britischen Meinungsforschungsinstituts Populus brachte es die junge „Wohlstandspartei“ des Magnaten Gagik Tsarukian innerhalb eines Jahres auf 27 Prozent. Ihm eilt der Ruf eines großzügigen Wohltäters voraus. Für Studenten aus der Provinz richtete Tsakurian kostenlosen Bustransfer an die Universität in Eriwan ein. Bei einem durchschnittlichen Bruttonationaleinkommen pro Einwohner von rund 90 Dollar im Monat sind die Einsparungen von 4 Dollar für die Fahrkarte täglich ein erheblicher Betrag. Darüberhinaus ließ er Krankenhäuser errichten. Niemand fragt, wie der Wohltäter zu eigentlich seinem Reichtum gelangte.
Zwar stellt Korruption eine ärgerliche und allgegenwärtige Erscheinung in Armenien dar. Das ist aber auch der Grund, warum viele der drei Millionen Einwohner sie hinnehmen. Worauf der Bürger achtet, ist, wie viel von dem Geld zurückfließt. „Daran machen sie fest, ob der Kandidat es mit der Wohltätigkeit ernst meint“, sagt Aram Manukian von der oppositionellen „Armenischen Nationalen Bewegung“.
In der Wählergunst führt mit 31 Prozent die Republikanische Partei des Premierministers Sersch Sarkisian. Präsident Robert Kotscharjan, lange Zeit der starke Mann des Kaukasusfleckens von der Fläche Brandenburgs, steht hingegen der Wohlstandspartei nahe. Bei den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr kann Kotscharjan nicht mehr kandidieren. Die Parlamentswahl wird daher auch als ein Testlauf wahrgenommen.
Die Opposition beklagt Behinderungen durch regionale Lokalfürsten, die der herrschenden Elite nahe stehen. Auch der letzte Bericht der OSZE bestätigt ungleiche Bedingungen für die kleineren Oppositionsparteien, die in Eriwan kaum Werbefläche erhielten, weil diese angeblich schon ausverkauft war. Im Vergleich zu Wahlbehinderungen in anderen postsowjetischen Republiken sieht dies eher wie ein Kavaliersdelikt aus.
Von sich reden machte in letzter Zeit der frühere Parlamentsvorsitzende Artur Bachdasarian. Zunächst ein Günstling des Präsidenten, überwarfen sich beide im vergangenen Jahr. Bachdasarian wechselte in die Opposition. Seine Partei „Orinats Yerkir“ hat nach eigenen Angaben 100.000 Mitglieder. Beobachter rechnen ihr gute Chancen aus. Bachdasarians Einzug ins Parlament könnte die politische Auseinandersetzung tatsächlich verändern. Im Unterschied zu Kotscharjan, der sich an Russland orientiert, hält der 38-jährige Oppositionelle einen Nato-Beitritt für möglich. Auch im Konflikt mit dem Nachbarn Aserbaidschan um die Enklave Berg-Karabach schlägt er versöhnlichere Töne an. Und selbst das Verhältnis zum Erbfeind Türkei, die sich weigert, den Genozid an den Armeniern 1915 einzugestehen, glaubt Bachdasarian langfristig verbessern zu können. Bislang waren dies in Armenien lauter Tabus. KLAUS-HELGE DONATH
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