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Archiv-Artikel

„Energie ist nun mal unser Trumpf“

SERGEJ JASTRSCHEMBSKI, 53, ist seit drei Jahren Russlands Sonderbeauftragter für die Beziehungen zur Europäischen Union. Seine ersten Sporen verdiente sich der gebürtige Moskauer und Absolvent der sowjetischen Diplomaten-Kaderschmiede Mgimo in der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der KPdSU. Zu Hochform lief Jastrschembski zwischen 1996 und 1998 auf: Als Pressesekretär und Vizechef der Kanzlei von Präsident Boris Jelzin erläuterte er die oftmals erklärungsbedürftigen Ausführungen des Kremlherrn – und erwies sich dabei als Meister konnotativer Ergänzungsleistungen. Seitdem gilt er als loyaler Diener aller Herren. KHD

INTERVIEW KLAUS-HELGE DONATH

taz: Herr Jastrschembski, EU-Kommissar Peter Mandelson klagt, das russisch-europäische Verhältnis sei auf einem Tiefpunkt. Wie im Kalten Krieg hätten sich wieder Misstrauen und Unverständnis breitgemacht. Ist die EU noch Ihr Partner oder schon Ihr Gegner?

Sergej Jastrschembski: Vielleicht ist Herr Mandelson wegen Russlands Unnachgiebigkeit in den WTO-Beitrittsgesprächen so gereizt. Ich sehe das anders, und auch die Fakten sprechen dagegen. Die EU ist unser größter Handelspartner mit einem Anteil von 50 Prozent bei steigender Tendenz. Bei Direktinvestitionen führt die EU ebenfalls. Natürlich gibt es ein Knäuel von Problemen: den Streit um den Import von polnischem Fleisch und die Unabhängigkeit des Kosovo. Wir gehen anders ran als unsere Partner in der EU, was aber nicht rechtfertigt, alles gleich schwarzzumalen.

Dennoch kann man wohl nicht länger von einer „strategischen Partnerschaft“ zwischen Russland und der EU sprechen?

Die strategische Partnerschaft ist unser langfristiges Ziel. Doch Partnerschaft schließt Konkurrenz nicht aus und zwingt niemanden, alle Probleme in der gleichen Weise wahrzunehmen. So eine gemeinsame, einheitliche Sicht gibt es ja nicht einmal in der EU, was will man da von Russland erwarten. Daran wird sich auch in fünf oder zehn Jahren nichts geändert haben. Das heißt aber nicht, dass wir nicht nach Partnerschaft streben sollten, wo sie Vorteile bietet.

Welche Rolle spielen die neuen osteuropäischen EU-Staaten im gegenwärtigen Stimmungstief? Wäre der Umgang mit Brüssel ohne sie einfacher?

Nicht alle osteuropäischen Länder haben ein negatives Verhältnis zu Russland. Mit den neuen EU-Mitgliedern Ungarn, Slowakei, Slowenien und Bulgarien ist die Zusammenarbeit eher enger geworden. Ihr Interesse an uns nimmt zu. Polen und Estland versuchen jedoch, historische Rechnungen zu begleichen. Dort ist eine mit Komplexen behaftete Elite an der Macht, die am Aufbau des Kommunismus mitgewirkt hat, nun aber päpstlicher als der Papst auftritt. Jene historischen Verletzungen meinen sie in die Beziehungen zu Russland einbringen und das Verhältnis damit belasten zu müssen. Wir wehren uns strikt dagegen. Ereignisse von vor 50 Jahren sollten die Gegenwart nicht beeinträchtigen. Wenn es dann so aussieht, als hätte sich die EU zwischen den Belangen der neuen Mitgliedsstaaten und uns zu entscheiden, muss Russland sich dagegen verwahren.

Worauf legt Russland beim neuen Partnerschaftsabkommen besonderen Wert?

Das bisherige Abkommen ist zehn Jahre alt und überholt. Mit unserem Beitritt zur WTO, der demnächst stattfinden wird, verliert es noch mehr an Aktualität. Wichtig ist: Das neue Abkommen soll ein Basisvertrag sein, der grundlegende Prinzipien der Kooperation festhält und nicht in Details ausufert. Die sind nämlich konjunkturabhängig. Die Zeit schreitet fort, die Einzelheiten im alten Abkommen sind an der Vergangenheit ausgerichtet. Außerdem ist uns an einem längerfristigen, auf 10 bis 20 Jahre ausgelegten neuen Abkommen gelegen.

Die EU ist besonders an der Zusammenarbeit im Energiebereich interessiert. Russland lehnt jedoch die Unterzeichnung der hierfür grundlegenden Energiecharta ab. Ist dennoch mit einem Kompromiss zu rechnen?

Im Energiebereich wird sich der neue Entwurf deutlich vom jetzigen unterscheiden.

Wie ist das zu verstehen?

Nur so viel: Es gibt keine Hoffnung auf einen Kompromiss. Die Frage ist ein für alle Mal entschieden. Die Energiecharta ist für uns nur von Nachteil.

Kann sich Russland dann beklagen, dass der Zugang für russische Unternehmen zum europäischen Markt behindert wird?

Wir haben es schwer, in Europa Fuß zu fassen. China und Indien investieren in der EU weit mehr als wir. Die Europäer möchten den Zugang zu unserem Energiemarkt erhalten. Wir aber wollen den heimischen Energiebereich selbst kontrollieren. Auch in anderen EU-Staaten reguliert der Staat den Energiesektor: In Spanien, Deutschland, Frankreich und Italien spielen Staatsunternehmen die entscheidende Rolle. Wir sind aber durchaus bereit, auf gleichberechtigter Grundlage mit den Partnern eine langfristige Zusammenarbeit zu etablieren. Aber auch unsere Unternehmen melden Interesse an Beteiligungen an Unternehmen in der EU an. Präsident Putin wiederholt immer wieder: Erhält unser Kapital Zugang zu Vermögenswerten in der Raumfahrtindustrie, dem Flugzeugbau und der Telekommunikation, könnt ihr mit eurem Geld gerne zu uns kommen. In einem ersten Schritt konnten sich Gazprom und Eni bereits einig werden: Ab Mai liefert Gazprom in Norditalien Gas auch an den Endverbraucher.

Wie stellen Sie sich die Bedingungen der zukünftigen Zusammenarbeit vor?

Uns schweben langfristige Lieferverträge mit einer Laufzeit bis 2025 vor. Einer Beteiligung ausländischer Unternehmen an der Förderung steht nichts im Wege, wenn dies gemeinsam mit Gazprom und zu unseren Bedingungen geschieht. Energie ist nun mal unser Trumpf, und den werden wir nicht ohne Gegenleistung aus der Hand geben.

Die wirtschaftlichen Spielregeln in Europa und Russland unterscheiden sich häufig. Sind die Ängste vor russischem Kapital in Europa darauf zurückzuführen?

Besonders in der deutschen und französischen Presse waren die Reaktionen auf die fünfprozentige Beteiligung der Außenhandelsbank an Eads geradezu furchterregend. Als wäre Russland ins wirtschaftliche Nervenzentrum vorgestoßen und würde der EU fortan diktieren, wie sie Flugzeuge zu bauen hätte. Man hatte den Eindruck, als stünde der Feind vor den Toren und würde morgen seine Bärentatze auf das Heiligste des Heiligen der europäischen Wirtschaft legen. Mein Rat: Europas Elite und Medien sollten sich allmählich von dem Komplex gegenüber Russland befreien.

Laut einer Umfrage fühlen sich immer weniger Russen als Europäer. Früher gab eine Mehrheit an, eine europäische Identität zu besitzen. Was ist passiert?

Die Umfrage hat mich überrascht. Denn eigentlich machen sich bei uns immer mehr Menschen für Kooperation mit Europa stark, sei es in der Wirtschaft, im Tourismus oder in der Kultur. Warten wir noch mal andere Erhebungen ab. Bislang identifizierte sich die Mehrheit der Bevölkerung bis zum Ural mit Europa. Hinterm Ural sieht es anders aus. Für jemanden, der in Wladiwostok wohnt, wäre es ziemlich seltsam, sich als Europäer zu fühlen.

STICHWORT: „PKA“

In der Nähe der Wolgastadt Samara findet am 18. Mai der nächste EU-Russland-Gipfel statt. Seit Abschluss des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens (PKA) vor zehn Jahren treffen sich beide Seiten zweimal jährlich zu Spitzengesprächen. Ende dieses Jahres läuft das PKA aus und soll durch einen neuen Grundlagenvertrag ersetzt werden. Die Aufnahme von Verhandlungen setzt jedoch Einstimmigkeit in der EU voraus. Zurzeit blockiert ein Veto Polens den Einstieg in Neuverhandlungen. Einigen sich Brüssel und Moskau nicht rechtzeitig, bleibt das alte Abkommen jedoch weiterhin in Kraft. Die Beziehungen zwischen Warschau und Moskau bewegen sich seit langem um den Gefrierpunkt. Der russische Einfuhrstopp für polnisches Fleisch ist nur ein Element im regelmäßigen polnisch-russischen Austausch von Gehässigkeiten. Russland besteht auf einer klaren Regelung der polnischen Fleischexporte auf EU-Ebene. Moskau wünscht, das neue Rahmenabkommen auf die Regelung grundlegender Fragen zu beschränken, ohne Details im Vertragswerk festzuschreiben. Überdies lehnt Moskau die Übernahme der den Europäern wichtigen Energiecharta und des dazugehörigen Transitprotokolls in das Abkommen ab. KHD

Seit Peter dem Großen vor 300 Jahren führt Russland die immer gleiche Diskussion über das Verhältnis zu Europa. Kein einziger neuer Gedanke ist hinzugekommen …

Wir müssen kein Fenster nach Europa mehr öffnen wie Peter damals. Die sind heute offen, wenn auch nicht so weit, wie es wünschenswert wäre. Dennoch verstehen wir heute besser, was Europa ausmacht, und auch die Europäer haben uns besser kennengelernt, auch wenn dies noch nicht ganz ausreicht. Die wichtigste Veränderung in diesen 300 Jahren ist die Gründung der EU.

Partnerschaft setzt voraus, dass Kritik akzeptiert wird. Russland aber reagiert darauf immer sehr gereizt und auch verängstigt. Warum?

Ich fürchte weder Kritik von Journalisten noch von unseren Partnern. Man muss aber zwischen objektiver und demagogischer Kritik unterscheiden. Grundsätzlich schadet Kritik nicht dem Ausbau der Beziehungen. Aber die EU sollte verstehen, dass wir ihr gegenüber auch nicht frei von Kritik sind.

Der Verhandlungsbeginn über das neue Partnerschaftsabkommen wird vom „Fleischkrieg“ zwischen Russland und Polen verhindert. Geht es dabei wirklich nur um ein paar Tonnen Büffelfleisch?

Das polnische Fleisch ist eines unserer größten Probleme. Grundsätzlich haben wir nichts gegen Fleisch aus Polen. Wir beanstanden nur den Reexport von Fleisch aus Drittländern wie Indien und Südamerika, wo Büffelfleisch billig ist. In der EU ist dieses Fleisch auch verboten. Eine Prüfung von polnischem Fleisch Ende April hat ergeben, dass es umetikettiert, neu verpackt und dann nach Russland exportiert wird. Der EU ist das bekannt. Wir wollen kein Fleisch aus Ländern essen, wo dasselbe Fleisch verboten ist. Auch wir müssen uns um unsere Verbraucher sorgen.

Ist vor dem EU-Russland- Gipfel in Samara am kommenden Freitag eine Einigung möglich?

Neben den EU-Vorschriften existieren auch noch nationale Regeln der EU-Staaten. Das führt dazu, dass Zuständigkeiten hin und her geschoben werden. Für die Klärung ist Brüssel zuständig, das tatsächlich um Vereinheitlichung bemüht ist. Russland braucht eine klare Ordnung und würde bis zum Gipfel das Problem gerne ausräumen.