Gegenwind vom bibeltreuen Gervelmeyer

KONFLIKT Die alternative Kulturszene am Osnabrücker Güterbahnhof verlässt nach einer Räumungsklage ihren Freiraum Petersburg. Vorerst. Die Kulturschaffenden wollen auf jeden Fall zurückkommen

Das Verhältnis von Gervelmeyer und Kulturszene war von Anfang an schwierig

Ein Windstoß fegt bei der Pressekonferenz über den Tisch und wirbelt die Papiere durcheinander. Ein Omen für die stürmischen Zeiten, die der Kulturverein Petersburg durchlebt? Der Zusammenschluss alternativer Kulturschaffender hat sich jedenfalls entschlossen, den Freiraum Petersburg vorerst aufzugeben. Anlass ist eine Räumungsklage des Eigentümers.

Noch sind die Freiräumler aber in ihrem „Zuhause“, wie Ingo Boll vom Kulturverein die Fläche nennt. Seit mehreren Jahren wächst in und um ein Bürogebäude auf dem Güterbahnhof ein Kulturbiotop. Die Gruppe Querbeet pflanzt in Kunststofftanks und Trockenmauern Kohl, Möhren und anderes Gemüse an. Im Gebäude werkeln Vereinsmitglieder in einer Holz- und Metallwerkstatt und einer Töpferei oder machen beim Tango-Unterricht mit. Auch gibt es Proberäume für Musiker und Ateliers. Die sind von der Klage aber nicht betroffen, weil sie an einen separaten Vertrag gebunden sind.

Seit den Nullerjahren hat sich eine alternative Kulturszene auf dem verlassenen Gelände etabliert. Die Vorbesitzer, zunächst die Aurelis, danach die Schilling und Schreyer GmbH, ließ sie gewähren. Doch dann kam die Zion GmbH in Person von Ralf Gervelmeyer, seines Zeichens Ex-Bundestagskandidat der Partei Bibeltreuer Christen (PBC), Personalunternehmer und zusammen mit einem Geschäftspartner neuer Eigentümer des ehemaligen Güterbahnhofs.

Das Verhältnis von Gervelmeyer und Kulturszene war von Anfang an schwierig. Für eine erste Zuspitzung des Konflikts sorgte, dass der neue Besitzer den Freiräumlern die direkte Zufahrt zu ihrem Gelände versperrte, sodass der Weg dorthin nun in weitem Bogen über den Güterbahnhof führt. „Vorher haben wir 30 Sekunden bis zum Freiraum gebraucht, jetzt sind es mehrere Minuten“, sagt Julian Essig vom Kulturverein.

Zusammenstöße gab es auch mit anderen. Dem Osnabrücker Stadtbaurat Frank Otte erteilte die Zion GmbH im Frühjahr gar ein Hausverbot. Der war mit Gewerbeaufsicht, Polizei und Pressevertretern auf das Gelände gekommen, nachdem in einer Halle giftige Substanzen freigesetzt worden waren. Ursache war ein teerhaltiger Kleber unter einem Holzfußboden, den die Zion GmbH ohne Kenntnis der Konsequenzen herausgerissen hatte. Die folgenden Presseberichte scheinen Gervelmeyer nicht gut geschmeckt zu haben.

Und nun also die Räumungsklage gegen den Kulturverein. Der ist der Meinung, „dass es eine mündliche Nutzungsabsprache gibt“, so Essig. Denn vor einem halben Jahr hatte sich Gervelmeyer den Freiraum angesehen – und begeistert gezeigt. „Das ist alles super, was ihr hier macht“, habe er gesagt. Miete wollte er von dem bisher vertragslosen Verein nicht, dafür aber einen Haftungsausschluss und eine Beteiligung an den Betriebskosten. Die Vereinsmitglieder waren einverstanden. Doch der Nutzungsvertrag, den sie daraufhin bekamen, „ist für uns nicht hinnehmbar“, sagt Alen Dragulj. So sollen Eigentümer und Beauftragte des Eigentümers jederzeit berechtigt sein, Zugang zum Gelände zu haben. Bei Veranstaltungen mit mehr als 50 Teilnehmern soll sich der Verein verpflichten, Ordnungskräfte zu engagieren, deren Namen der Zion GmbH drei Tage vorher mitgeteilt werden.

Was Gervelmeyer selbst zu all dem zu sagen hat, ist nicht bekannt. Mehrere Versuche, ihn über die Zion GmbH zu erreichen, blieben ergebnislos.

Die Freiräumler haben sich nun entschlossen, vor dem Gerichtstermin Mitte Oktober freiwillig zu gehen. Ihre Pflanzencontainer, Werkbänke und alles andere können sie im Ringlokschuppen auf dem Güterbahnhof unterstellen. Den hat die Stadt Osnabrück gekauft.

Und dann? Wollen sie zurück. Da sind sich die Vereinsmitglieder sicher. „Am besten wäre es, wir könnten das Gelände kaufen“, sagt Essig. Doch mit welchem Geld? Die städtische Kasse ist leer. Deshalb feilen die Vereinsmitglieder an einem Konzept, mit dem sie Sponsoren gewinnen wollen.  ANNE REINERT