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Archiv-Artikel

Anruf beim kleinsten Verdacht

Seit zwei Wochen ist die Kinderschutz-Hotline des Senats geschaltet. Sie war offenbar notwendig: Mehr als 60 Personen haben sich bereits gemeldet. In mehreren Fällen musste der Notdienst die Kinder in seine Obhut nehmen

Und wieder klingelt das Telefon. Eine junge Frau ist am Apparat. Sie mache sich schon seit Längerem Sorgen um die Kinder einer Freundin, erzählt sie. Der neue Lebenspartner der Freundin würde deren Kinder regelmäßig misshandeln. Weil sie aber keine Beweise habe, wollte sie sich bisher nicht an das Jugendamt wenden. Nur ein Beispiel für die Nutzung der neuen Hotline des Kindernotdienstes, die am 2. Mai freigeschaltet wurde.

Unter der Nummer 61 00 66 sind rund um die Uhr zwei fest angestellte Sozialarbeiter und zahlreiche Helfer mit sozialpädagogischer Ausbildung erreichbar. „Von der Senatsverwaltung sind uns vier Stellen bewilligt worden“, erzählt Martina Hartwig, die Leiterin der Notdienste. „Bisher konnten nur zwei besetzt werden.“ Um die Arbeit der Hotline zu gewährleisten, ist die 50-Jährige selbst eingesprungen.

Seit Freischaltung der Nummer sind über 60 Anrufe eingegangen. Melden können alle, die sich Sorgen um Kinder machen: Eltern, Bekannte, Verwandte, Lehrer, Erzieher und Kinder selbst. Bisher werde das Angebot vor allem von Menschen aus dem direkten Umfeld von Kindern genutzt, so Hartwig. Etwa von Lehrern, die Verhaltensauffälligkeiten bei einem Schüler entdeckt haben. Oder einem Handwerker, der bei einem Routine-Check auf eine verwahrloste Wohnung gestoßen ist. Von Bekannten, die sich um die Kinder ihrer alkoholkranken Freunde sorgen. Und immer wieder von Nachbarn, die nachts Schreie hören. „Kinderschutz ist eine gesellschaftliche Aufgabe“, betont Hartwig. „Ohne aufmerksame Mitmenschen mit Zivilcourage ist unsere Arbeit nicht möglich.“

Dem Anrufer wird zunächst erklärt, dass er seine Angaben anonym abgeben kann. Mithilfe eines Fragebogens wird unter anderem abgefragt, in welcher Beziehung der Anrufer zu dem Kind, um das er sich sorgt, steht, und welcher Gefahr es möglicherweise ausgesetzt ist. Auch können Angaben dazu gemacht werden, ob es in der Familie des Kindes Suchtprobleme oder häusliche Gewalt gibt.

Nach jedem Telefonat muss der Mitarbeiter einschätzen, ob eine Gefährdung des Kindeswohls vorliegt oder zumindest nicht auszuschließen ist. „Bisher gab es kein Telefonat, nach dem wir eine Kindeswohlgefährdung ausschließen konnten“, berichtet Hartwig. In vier Fällen seien die Angaben sogar so besorgniserregend gewesen, dass Sozialpädagogen des Kindernotdienstes sofort zu den Wohnungen geschickt wurden, um nach den betroffenen Kindern zu sehen. In allen vier Fällen mussten die Kinder direkt in Obhut genommen werden, in einem Fall wurde die Polizei hinzugeholt.

In weniger akuten Fällen werden die aufgenommenen Daten an das Jugendamt weitergegeben. „Unser Angebot ist Teil des Versuchs, ein Kinderschutz-Netzwerk aufzubauen“, erklärt Hartwig. „Wenn wir frühzeitig auf Problemfälle aufmerksam werden, können hoffentlich viele Fälle von Verwahrlosung und Misshandlung vermieden werden.“ NANA GERRITZEN