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Archiv-Artikel

Blinde Flecken bei Sachsen-Anhalts Polizei

Dessauer Polizeivize soll seinen Untergebenen geraten haben, bei rechten Gewalttaten öfter mal wegzuschauen

BERLIN taz ■ Für das Thema Rassismus müsste die Dessauer Polizei eigentlich besonders sensibilisiert sein. Seit März stehen Beamte aus Dessau vor Gericht, unter deren Aufsicht der Asylbewerber Oury Jalloh bei lebendigen Leib in einer Polizeizelle verbrannt war. Das Urteil ist noch nicht gefällt, doch auf dem Schreibtisch von Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann (SPD) liegt bereits ein weiterer Fall, der kein gutes Licht auf die Dessauer Polizei wirft. Der Polizeivize soll drei Staatsschützer aufgefordert haben, rechtsextreme Straftaten öfter mal zu ignorieren.

Der Vorfall wurde bekannt, weil sich einer der Polizisten mit einer Beschwerde an den Petitionsausschuss des Landtags wandte. Wie die Berliner Zeitung Tagesspiegel mit Berufung auf ein Gedächtnisprotokoll des Beamten berichtet, soll der Vorgesetzte den Staatsschützern angesichts der horrenden Zahl von Ermittlungsverfahren gegen rechtsextreme Straftäter den Hinweis gegeben haben, „dass man nicht alles sehen müsse“. Schließlich drohten diese Fälle, „das Ansehen unseres Landes“ zu schädigen.

Sollten diese Ratschläge erteilt worden sein, so wären sie das Gegenteil dessen, was Innenminister Hövelmann den Sicherheitsbehörden nach seinem Amtsantritt vor einem Jahr verordnet hatte: „Nulltoleranz“ im Umgang mit Rechtsextremen. Seit 2002 hat sich die Zahl rechtsextremer Straftaten in Sachsen-Anhalt fast verdoppelt, von 618 auf 1240 Fälle im vergangenen Jahr. Ganz vorn liegt die Polizeidirektion Dessau. Die Landesregierung rief als Reaktion auf diesen Trend im Dezember die Kampagne „Hingucken! Für ein demokratisches und tolerantes Sachsen-Anhalt“ aus.

Mit eben dieser Initiative wollen auch die Staatsschützer den Polizeivize bei der Unterredung konfrontiert haben. Der Vorgesetzte soll erwidert haben: „Das ist doch nur für die Galerie“, die Kollegen sollten die Kampagne „nicht ernst nehmen“.

Nach Angaben des Innenministeriums hat die Polizeidirektion bereits die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Diese habe ein Ermittlungsverfahren wegen Strafvereitelung abgelehnt. Die Vorwürfe gegen den Polizeivize dürften das Ministerium dennoch alarmiert haben. Man warte noch auf einen Bericht der Polizeidirektion Dessau zu dem Fall, sagte gestern ein Sprecher Hövelmanns. Dieser solle spätestens Mittwoch vorliegen. Sollte an den Vorwürfen etwas dran sein, werde Hövelmann „alle notwendigen Maßnahmen einleiten“. ASTRID GEISLER