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Archiv-Artikel

„Es ist auch eine Friedenstat“

VORTRAG Wehrmachtsdeserteur Ludwig Baumann spricht über aufzuarbeitende Rechtsgeschichte

Von TGL
Ludwig Baumann

■ 92, desertierte 1941 22-jährig aus der deutschen Wehrmacht und wurde dafür zum Tode verurteilt.  FOTO: DPA

taz: Herr Baumann, worüber sprechen Sie heute Abend?

Ludwig Baumann: Über mein Schicksal und über das der anderen Wehrmachtsdeserteure. 1990 gründeten wir die Bundesvereinigung „Opfer der NS-Militärjustiz“. Wir waren mal mehr als 200, heute bin ich der einzige, der damals als Kriegsverräter zum Tode verurteilt wurde und immer noch lebt. Um uns geht es – aber auch um ein Stück Hamburger Rechtsgeschichte im „Dritten Reich“, über das es nur wenig Aufklärung gibt.

Wie erging es Ihnen nach Kriegsende?

Ich war so traumatisiert, dass ich nicht anders konnte, als mich an die Öffentlichkeit zu wenden. Besonders nachdem ich von einem Kameraden der Wehrmacht zusammengeschlagen wurde, wollte ich Anzeige erstatten. Im Chilehaus, in Hamburg, wo ich anschließend auch verprügelt wurde. Das waren mit Sicherheit ehemalige Soldaten. Nicht einer von ihnen ist dafür belangt worden.

Und dann?

Ich habe dann angefangen zu trinken, dadurch konnte ich vieles verdrängen. Als ich dann nach Bremen kam, habe ich meine Frau kennen gelernt. Wir mochten uns, aber ich habe weiter getrunken, bis sie bei der Geburt unseres sechsten Kindes starb. Das war 1966, da kam der Wendepunkt, denn ich musste Verantwortung übernehmen: für die Kinder und für mich.

Erst 2009 wurden „Kriegsverräter“ rehabilitiert.

Unser Gesetzentwurf wurde immer wieder gekippt. 2002, als SPD und Grüne zusammen regierten, wurden sämtliche Urteile gegen Wehrmachtsdeserteure vom Bundestag pauschal aufgehoben – aber noch nicht die Urteile wegen Kriegsverrats. Unser langer Kampf war auch deshalb so schwierig, weil er immer auch einen Bezug zur Gegenwart hat: Die Moral der Bundeswehr würde durch uns untergraben.

Wie gehen Sie heute mit Ihrer Vergangenheit um?

Im Alter kommen meine Erinnerungen traumatischer wieder hoch. Das passiert meist nachts, da bin ich machtlos. Es sind Träume, in denen ich mit meinem Freund Kurt Oldenburg desertiere. Noch heute frage ich mich: Kann man Besseres tun, als den Krieg zu verraten? Kriegsverrat ist auch immer eine Friedenstat.

Kämpfen Sie immer noch?

Würde ich es nicht tun, wäre ich vielleicht nicht mehr am Leben. Der größte Erfolg ist wohl das geplante Deserteurdenkmal am Dammtordamm. Zum ersten Mal wird unser Schicksal anerkannt.  INTERVIEW: TGL

16.15 Uhr, Uni-Hauptgebäude, Edmund-Siemers-Allee 1