„Ich sehe Menschen beim Handeln zu“

ARBEITSWELT Der Berliner Filmemacher und studierte Mediziner Stefan Landorf untersucht in seiner Dokumentation „Besprechung“ die Strukturen und den performativen Charakter des Geschäftslebens

■ wurde 1963 in Hamburg geboren. Er absolvierte ein Medizinstudium, bevor er an die Hochschule für Fernsehen und Film in München wechselte. 1998 drehte er seinen ersten Kurzfilm, „Jan T Zen oder Die Kunst als Zahnarzt pleite zu gehen“, 2001 folgte sein Langfilmdebüt „Aufnahme über den Alltag in einem Krankenhaus, 2009 entstand „Besprechung“.

INTERVIEW BERT REBHANDL

taz: Herr Landorf, was bringt einen dazu, einen Film über Besprechungen zu machen?

Stefan Landorf: Manche Details der Ausbildung in seinem Leben vergisst man nicht. In meiner Tätigkeit als Arzt gab es jeden Tag die Morgenbesprechung. Alle Ärzte einer Abteilung sitzen zusammen und erfahren, was in der Nacht zuvor geschehen ist. Kein Nichtmediziner hatte hier Zutritt. Das ist jetzt fast 20 Jahre her, aber dieser Raum ist in meiner Erinnerung immer mythischer geworden. 80 Prozent von dem, was bei so einer Besprechung gesprochen wird, ist eigentlich hohl. Man möchte sich im Grunde nur vergewissern, dass alles läuft. Aber auch im Filmbereich läuft das nicht grundsätzlich anders. Ich lerne also immer wieder eine Sprache, die mich auf einen spezifischen Punkt einengt. Da das sicher nicht nur mir so gehen würde, wollte ich diesen Prozess der Einengung möglichst weit in die Gesellschaft hinein an einem breitem Spektrum von auch mir ganz unbekannten Besprechungen beobachten.

Eine Einengung, die auf bestimmte Sätze hinausläuft, die Sie im Film durch Wiederholung hervorheben.

Die Frage war: Welche Sätze eignen sich an welcher Stelle einer Besprechung, um sie zu strukturieren? Letztendlich habe ich Struktursätze gesammelt.

Aus „Besprechung“ spricht bei aller Redundanz im Sprachlichen auch etwas anderes – das Funktionieren von Gesellschaft.

Das ist ja das große Wunder: Was hält Gesellschaft überhaupt zusammen? Ich denke, es ist die Sprache selbst. Wir lernen, uns permanent mit der Sprache selbst zu reproduzieren. Dieser performative Charakter ist den Leuten, mit denen wir gedreht haben, immer bewusst, entweder als Scham, in den höheren Rängen aber auch als Spaß – man macht sich innerlich über sich selbst lustig.

Wie haben Sie die Orte und Institutionen ausgewählt, in denen Sie gedreht haben?

Ich musste sehr viel Überzeugungsarbeit leisten, und als ich schon für so gut wie alle Besprechungen Drehgenehmigungen hatte, ist mir die Finanzierung zusammengebrochen. Als die Produktion wieder starten konnte, musste ich wieder von vorn anfangen, weil in dieser schnelllebigen Arbeitswelt viele Stellen dann schon wieder neu besetzt waren. Hierbei habe ich versucht, wesentliche Aspekte der modernen Gesellschaft abzubilden: Ein Callcenter ist dabei, der BDI, eine international operierende Buchhaltungsbank, aber auch die Bundeswehr oder der Strafvollzug. Gern hätte ich auch die Politik oder die Medien dabeigehabt, das ist mir aber trotz vieler Anfragen nicht gelungen.

Inwieweit haben sich die Protagonisten durch die Anwesenheit von Kameras möglicherweise verändert?

Im ersten Schritt der Materialsammlung wenig. Klassisch dokumentarisch beobachtend waren wir stundenlang mit zwei Kameras bei den Besprechungen dabei. Allein bei der Entwicklungshilfeorganisation belief sich das auf ca. zwanzig Stunden Material. Insgesamt war die Atmosphäre in den Sitzungen ohnehin eher als uneitel zu bezeichnen, sie waren eben etwas, was erledigt werden muss.

Es gibt zwei Bearbeitungsschritte in „Besprechung“ – Sie lassen einzelne, aus dem Kontext herausgelöste Sätze nachsprechen, und schließlich gibt es eine Besprechung, die nur aus solchen Sätzen besteht, also eine gespielte Besprechung.

Dabei ging es mir um eine Steigerung der Sinnlosigkeit, die aber trotzdem, wie ich finde, erstaunlich gut funktioniert. Sie zeigt eine sinnhafte Struktur mit sinnlosem Inhalt.

Und Sie zeigen eine flexible Welt, in der man Räume durch verschiebbare Wände immer wieder neu anlegen kann.

Auf Motivsuche habe ich am Potsdamer Platz bei Sony ein sehr flexibles Konferenzzentrum gefunden: eine Art modulares Bürosystem mit Schiebewänden, mittels deren man die vier klassischen Besprechungssituationen in verschiedenen Raumgrößen herstellen kann. Hier sprach man von Workshop, Meeting, Classroom Formation und Parliament Situation. Das ging mir lange Zeit einfach nicht aus dem Kopf, und schließlich habe ich daraus ein Strukturelement des Films gemacht.

Gibt es gelungene Besprechungen?

Es gibt effizientere und weniger effiziente Besprechungen. Es war über den Bau des Films aber nicht vermittelbar, wie effizient eine Besprechung ist, denn das hätte für den Zuschauer oft Langeweile bedeutet. An einigen Beispielen lässt sich jedoch die Effizienz erahnen, z. B. bei der Videokonferenz: jeden Morgen sehr effektiv eingespielte zehn Minuten Gespräch zwischen Indien, England und Deutschland. Und wieder ergab sich eine interessante Überschneidung mit dem Inhalt des Films, hier heißt der Besprechungsraum gleich „Performance Hub“.

Ergibt sich aus „Besprechung“ so etwas wie eine Wahrheit über unsere Gesellschaft?

Eine Wahrheit über die Gesellschaft betrifft immer die Frage nach meinem Leben selbst. Wie kann ich mich von etwas befreien, was mir immanent ist? Ich bewege mich in dem ständigen Paradox, mich immer noch von einer Fachsprache befreien zu wollen, von noch einem Technolekt, den ich gelernt habe. Selbst nach zwei abgeschlossenen Studiengängen – Medizin und Film – fühle ich mich von diesen Dingen eher eingeschlossen als befreit.

Was hat Sie denn überhaupt dazu bewogen, nach Ihrem Medizinstudium noch Dokumentarfilm in München zu studieren?

Als ich zugelassener Arzt war, wurde mir klar: Das ist mir zu eng, das kann ich jetzt schon, das möchte ich nicht die nächsten 40 Jahre meines Lebens machen. Man spricht bei einem Studium ja nicht von ungefähr von einem Abschluss, was immer auch eine Abgeschlossenheit bedeutet. An bestimmte Bereiche des Lebens kommt man damit nicht mehr heran: an bestimmte Gefühle, oder Bilder vielleicht. Diesen Weg habe ich dann als Filmemacher zu beschreiten versucht.

Was hat denn den dafür Ausschlag gegeben, dass Sie auf das Bild und nicht auf die freie (literarische oder theoretische) Sprache gesetzt haben?

Das Kommunale Kino in Hamburg ist schuld. (lacht) Film hat mir immer schon wahnsinnig viel bedeutet. Film hat mich in meiner nicht ganz ungebrochenen Geschichte bis zum Abitur sehr am Leben erhalten. Einmal gab es dort eine surrealistische Nacht, da konnte man durchgehend bis morgens um acht zum Beispiel Filme von Maya Deren oder André Delvaux sehen. Seitdem dachte ich immer: Das möchte ich auch gern machen – mit Filmmaterial so arbeiten, dass es Bestandteil der Träume wird.

Arbeit wird immateriell. Mehrwert entsteht nicht länger an der Stanze, am Fließband oder im Walzwerk, sondern durch Kommunikation. Für Dokumentarfilmer, die Arbeit als visuelles Spektakel auf die Leinwand bringen wollen, ist das keine gute Voraussetzung. Denn eine Fabrik macht etwas her, ein Büro dagegen ist fade. Stefan Landorf hat trotzdem versucht, das Immaterielle anschaulich zu machen. Sein Filmessay „Besprechung“ erfasst die Veränderungen in unserer Arbeitswelt, indem er sich mit Konferenzsituationen in verschiedenen Unternehmen und Institutionen beschäftigt. Unter anderem besucht der Regisseur die Kindernothilfe in Duisburg, den Pharmakonzern GlaxoSmithKline in München, eine Kaserne in Neubrandenburg und den Sitz des Bundesverbands der Deutschen Industrie in Berlin. Wo immer er hinkommt, müssen die Angestellten und die Führungskräfte miteinander reden, und sie tun dies, das merkt man recht schnell, in einem je eigenen Jargon sowie in stark ritualisierten Abläufen. (cn)

■ „Besprechung“, Regie: Stefan Landorf. Dokumentarfilm, Deutschland 2007, 83 Min.

Wie viel hat sich zwischen Ihren Dokumentationen „Aufnahme“ (2001) und „Besprechung“ (2009) verändert?

Vielleicht fange ich bei dem an, was gleich geblieben ist: ein ethnografischer Blick auf die Welt, ein Interesse, Leuten beim Handeln zuzusehen. Das ist das, was mich originär beschäftigt. Im Nachhinein war mir „Aufnahme“ ein bisschen zu perfekt. Die Tonebene läuft so durch und wischt dadurch auch über viele Ecken und Kanten hinweg. In „Besprechung“ wollte ich tatsächlich das Material spürbar haben, es gibt drei verschiedene Ebenen, die sich ganz deutlich unterscheiden. Die Zuschauer sollen so in die Lage versetzt werden, mein Spiel am Schnittsystem mitzuspielen.

Zwei Filme in zehn Jahren – kann man davon leben?

Man kann von Filmen, wie ich sie mache, nicht leben. Ich lebe davon, dass ich andere Filme schneide, das läuft ganz gut, und ich arbeite auch noch teilweise als Arzt.

Wie weit reicht die Vorgeschichte von „Besprechung“ zurück, und wie schwierig war die Finanzierung?

Angefangen zu schreiben habe ich 2005, wenn nicht sogar 2004. Bis es durch die Redaktionen kommt, das ist eine sehr langwierige Erfahrung. Wenn ich etwas schreibe, dann muss mir das auch auf dieser Ebene Spaß machen. Die Redaktionen verlangen aber nach einer Gebrauchssprache. Alles, was ein bisschen komplexer ist, kommt nicht rein, denn das würde zu viele Fragen aufwerfen. Man stellt keine Frage, sondern gibt nur Antworten – etwas, was man auch in anderen Berufen lernt. Es muss innerhalb von zehn Minuten darstellbar sein.

Bei „Besprechung“ fällt einem unwillkürlich „Nicht ohne Risiko“ ein, ein wichtiger Besprechungsfilm von Harun Farocki. Inwiefern ist er für Ihre Arbeit von Belang?

Ihm gebührt das große Verdienst, diesen ethnografischen Bereich geöffnet zu haben. Helmut Färber hatte ihn einmal an die Münchner Filmhochschule eingeladen, und so bin ich mit einigen seiner Arbeiten vertraut. Deshalb war ich mir lange unsicher: Darf ich das? Darf ich auch diese Bereiche betreten? Aber irgendwann war die Zeit einfach reif.