LESERINNENBRIEFE
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Klingt erst mal gut, aber …

■ betr.: „Koalition einigt sich auf Zwangspausen für Minister“, taz vom 8. 10. 14

Eine Karenzzeit für in die Wirtschaft wechseln wollende Abgeordnete oder MinisterInnen klingt ja erst mal gut, obwohl die Zeit von zwölf oder 18 Monaten sehr kurz bemessen ist. Aber der Zeitpunkt des Wechsels ist ja nicht alleine das Problem. Wenn es sich um Minister handelt, so haben sie sich während ihrer Regierungstätigkeit sicher „Anwartschaften“ für einen lukrativen Posten in Industrie oder Wirtschaft erworben. So hat ja Daniel Bahr in seiner Zeit als Gesundheitsminister nicht nur der Versicherungsbranche ein wertvolles Geschenk mit seinem „Pflege-Bahr“ vermacht. Er wollte zudem die privaten Krankenversicherungen für alle öffnen, sozusagen ein Hilfsprogramm für die private Krankenversicherung.

Außerdem sollten zukünftig alle Versicherten vom Arzt eine Rechnung erhalten. Zum Glück haben sich diese Vorhaben nicht realisiert. Jedoch, wenn man sich das im Sommer verabschiedete Gesetz zur Finanzreform der gesetzlichen Krankenversicherung anschaut, sind die Vorarbeiten von Daniel Bahr hierzu durchaus ersichtlich. Den privaten Krankenkassen waren nämlich die von den gesetzlichen Kassen eingeführten Wahltarife ein Dorn im Auge. Deshalb sollte eine Zusatzkrankenversicherung eingeführt werden, aber mit einer Beschränkung der Wahltarife der gesetzlichen Kassen.

Die Zusatzkrankenversicherung kommt zwar nicht, aber die Wahltarife der gesetzlichen Kassen dürften wohl größtenteils der Vergangenheit angehören. Dafür sorgte schon Finanzminister Schäuble mit der Kürzung der staatlichen Zuweisungen zum Gesundheitsfonds, sodass die gesetzlichen Kassen gezwungen sind zu sparen und zu kürzen. Hinzu kommt, dass die gesetzlichen Krankenkassen jetzt durch die neuen Regelungen in einen Wettbewerb – Herr Bahr lässt grüßen – gezwungen werden, wer die billigste ist und den geringsten Zusatzbeitrag erhebt.

Der Begriff des Lobbyismus ist daher sehr viel weiter zu fassen. Und dass auch das Gesetz gegen Korruption beziehungsweise Bestechung jahrelang nicht ratifiziert wurde, spricht für die geringe Problemwahrnehmung unserer PolitikerInnen. Und das nun endlich ratifizierte „Gesetz gegen die Mandatsträger-Bestechung“ ist so gestaltet, dass besondere Hürden eingebaut sind, um die Verfolgung korrupter MandatsträgerInnen zu erschweren oder zu verunmöglichen.

HELGA SCHNEIDER-LUDORFF, Oberursel

Ätsch oder was?

■ betr.: „Eine moderate Zwischenposition“, taz vom 13. 10. 14

Das ist ja krass: Scharfenberg und Terpe von den Grünen finden, nur wer vertraute Angehörige oder einen „seit Jahren!“ vertrauten und außerdem noch mutigen Arzt hat, darf selbstbestimmt sterben. Wie fies. Sollte ich im Alter einsam sein, darf ich nicht mal selbstbestimmt sterben, weil: Darf mir ja keiner helfen. Ätsch oder was?

Und wie fies ist das für die Angehörigen? Entweder ich helfe Uroma oder halt keiner. Was ist das denn für ein Druck? Und umgekehrt: Wie darf ich als Uroma das einfordern? Zumal die Enkelin ja auch von mir erbt und deshalb vielleicht in den Knast kommt, weil sie mir die letzen zwei Wochen erspart hat? Es ist kaum vorstellbar, dass Menschen, die hier professionelle Hilfe systematisch verweigern wollen, sich auch nur einmal kurz die Situation von wahlweise mir als Uroma oder mir als Urenkelin vorgestellt haben. Krass.

REBECCA NANSEN, Berlin

Was soll die Bevormundung?

■ betr.: „Eine moderate Zwischenposition“, taz vom 13. 10. 14

Die Grünen als Jein-Partei. Anstatt dass die neue Freiheitspartei sich für Freiheit in der existentiellen Situation am Lebensende einsetzt, werben erste Protagonisten für „Freiheit lieber doch nicht“, denn es könnte sich ja eventuell jemand zu irgendwas gedrängt sehen. Mit dem Argument könnte man – sicherheitshalber! – auch Sex in Beziehungen verbieten: Es ist einfach absurd. Dass man auch sterben wollen kann, wenn palliativ alles tipptopp ist, sagen uns die Ärzte ebenfalls. Was soll diese Bevormundung? Solche Leute machen mir echt Angst vor dem Alter und Lebensende: Wie viele prophylaktische „So lang ich noch kann“-Suizide mag eine restriktive Regelung wohl befördern? Meine eigene Angst würde mich jedenfalls zu lieber früher solang ich noch kann … genau: drängen! SILKE KARCHER, Berlin

Staatswohltat nur für wenige

■ betr.: „60 Jahre Kindergeld. Ab in die Rente!“, taz vom 13. 10. 14

Bravo Heide Oestreich! Endlich mal ein Kommentar, der in klarer Sprache mit der Volksverdummung durch Kindergeld als angebliche Staatswohltat für alle aufräumt. Im Kindergeld erlebt tatsächlich die Stände- beziehungsweise Klassengesellschaft von Anfang des letzten Jahrhunderts fröhliche Urstände. Die Reichen werden großzügig beschenkt, die Durchschnittsverdiener durchschnittlich abgefunden und die Armen gehen wie so oft leer aus.

Es ist das gleiche Prinzip wie bei jedem Steuergeschenk der aktuellen Politik. Der breiten Öffentlichkeit weismachen, dass sie davon profitiert, obwohl genau die, die es am nötigsten hätten, am wenigsten oder gar nichts davon haben. Wenn der Staat etwas tun will, dann durch direkte Transfers und Angebote auch nicht finanzieller Art an die Betroffenen oder wenigsten über Senkung der Beiträge zu den Sozialkassen. Dort gibt es wenigsten Beitragsbemessungsgrenzen. Es ist an der Zeit, dass den Betroffenen bewusst wird, wer und was ihnen hilft und wer sie nur für dumm verkaufen will.

MARKUS STEUERNAGEL, Frankfurt am Main