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Archiv-Artikel

WORAN PAPST BENEDIKT XVI. AUF SEINER BRASILIEN-REISE GESCHEITERT IST Dialog als Floskel

Einzig mit seinem schüchternen Lächeln hat Benedikt XVI. die Brasilianer positiv überrascht. Ansonsten aber langweilte der Papst auf seiner Reise durch das „größte katholische Land der Erde“ mit der vertrauten Botschaft des Vatikans: politische Enthaltsamkeit für Kirchenleute, sexuelle Abstinenz für alle. So versorgte er die lateinamerikanischen Bischöfe mit einem Katalog, in dem sich jeder nach seinem Gusto etwas herausfischen kann: Ein Ja zur „Option für die Armen“, denn die lasse sich bereits aus der Bibel herleiten; ein wenig Kritik am Marxismus und den Auswüchsen des Kapitalismus; die Aufforderung zur mehr Bibelkunde und der Evangelisierung auch über moderne Massenmedien; eine Absage an „Säkularismus, Hedonismus, Indifferenz“ und die Anwerbungsmethoden fundamentalistischer Pfingstkirchler.

Mit seiner Pose des erbarmungslosen Besserwissers hilft der Pontifex allerdings nicht jenen tausenden Frauen, die Jahr für Jahr wegen antiquierter Gesetze und mangels Finanzen ihr Leben bei Abtreibungen aufs Spiel setzen. Noch hat er den Jugendlichen aus den Elendsvierteln etwas zu sagen, die wenigstens von Behörden und NGOs über einen verantwortungsvollen Umgang mit der Sexualität informiert werden. Am allerwenigsten wird es ihm damit gelingen, den Aderlass der Gläubigen aus meist armen Verhältnissen zu stoppen, die oft aus ganz handfesten Gründen bei den Freikirchen landen. Dort nämlich erhalten sie oft jene pragmatische Lebenshilfe, die ihnen katholische Geistliche mangels Masse oder aus dogmatischer Beschränktheit verwehren.

Ebenso realitätsfremd ist sein Blick auf die Geschichte Lateinamerikas und der Karibik. Quasi als Pflichtübung – und anders als sein Vorgänger Johannes Paul II. – speiste Benedikt XVI. die Indígenas und die Schwarzen mit beiläufigen Erwähnungen ab. Kein Wort des Bedauerns für die Mitwirkung der Kirche bei Conquista und Sklavenhandel, im Gegenteil: Die Verkündigung Jesu und seines Evangeliums habe „zu keinem Zeitpunkt eine Entfremdung der präkolumbianischen Kulturen mit sich“ gebracht, dozierte Ratzinger eurozentrisch, „ebenso wenig wurde ihnen eine fremde Kultur aufgezwungen“. Eine Delegation von Ureinwohnern wollte er gleich gar nicht empfangen.

Damit ist der Papst jenen katholischen Laien und Priestern, die sich in ihrem Alltag mit den Entrechteten der Gesellschaft solidarisieren und damit in Lateinamerika eine wichtige Rolle spielen, viel stärker in den Rücken gefallen als mit seinen recht allgemein gehaltenen Äußerungen gegen politisches Engagement, die man als Kritik an der Befreiungstheologie deuten konnte. Der wohl wichtigste Unterschied zwischen den linken Katholiken und dem Papst liegt in ihrem Realitätsbegriff: Während Erstere in den Unterdrückten den gekreuzigten Christus sehen und ihr eigenes Engagement als Evangelisierung, nimmt Benedikt XVI. den Glauben an Gott als Ausgangspunkt, durch den Wirklichkeit erst begründet werde.

Aus dieser Perspektive wird das Bekenntnis zum interkulturellen – oder auch innerkirchlichen – Dialog zur Floskel. Denn, so schärfte Benedikt XVI. den Bischöfen ein, „die einzige Kirche Christi existiert in der katholischen Kirche, die von Petrus’ Nachfolger zusammen mit den Bischöfen regiert wird“. Auch an der untergeordneten Rolle der Frauen in der Kirche will der Papst nichts ändern, seiner beklatschten Verurteilung des Machismo zum Trotz. Die von ihm gewünschte Missionsoffensive in Lateinamerika und anderswo muss aber scheitern, weil ihr dogmatisches Fundament in zu vielen Punkten an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigeht: Daran vermag auch seine Kritik an den Auswüchsen der Globalisierung nichts zu ändern.

Über ihre Personalpolitik werden die Reaktionäre aus Rom auch weiterhin versuchen, die Uhr bis vor die Öffnung der katholischen Kirche durch das Vatikanische Konzil in den Sechzigerjahren zurückzudrehen. Die vordemokratische Struktur ihres Apparats hilft ihnen dabei. Je konservativer die Bischöfe, desto schlimmer für die Armen.

Das Kirchenvolk auf dem vielbeschworenen „Kontinent der Hoffnung“ dürfte die Direktiven aus Rom auch in Zukunft wie eh und je unbekümmert ignorieren – oder abwandern. Aber dass Europa von der engagierten Religiosität vieler Menschen in Lateinamerika, ihrem vitalen Synkretismus und ihrer ökumenischen Toleranz etwas lernen könnte – auf diese Idee ist der bayerische Dickschädel Ratzinger gar nicht erst gekommen.

GERHARD DILGER