: Gysi hat eine neue Akte
Der Verfassungsschutz bespitzelt bis heute den Chef der Linksfraktion. Oskar Lafontaine fühlt sich an Diktaturen erinnert: „Das ist ein Skandal“
AUS BERLIN JENS KÖNIG
Gregor Gysi wird bis heute vom Verfassungsschutz bespitzelt. Das geht aus einem Bescheid hervor, den das Bundesamt für Verfassungsschutz Anfang März an Gysi übersandt hat. Der Chef der Linksfraktion machte diesen Bescheid gestern öffentlich.
„Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz verstößt gegen das Grundgesetz“, erklärte Gysi. „Die Abgeordneten haben den Verfassungsschutz zu kontrollieren und nicht umgekehrt.“ Die Beobachtung stelle außerdem einen direkten Eingriff in die Mandatsausübung dar. Die Bürger müssten damit rechnen, dass der Kontakt zu ihrem Abgeordneten Gegenstand einer Überwachung wird. Oskar Lafontaine, neben Gysi der zweite Vorsitzende der Linksfraktion, kommentierte diesen Vorgang mit scharfen Worten. „Das ist ein Skandal“, sagte Lafontaine der taz. „Nur in Diktaturen werden frei gewählte Parlamentsabgeordnete überwacht und bespitzelt. In einer Demokratie sollten die Abgeordneten die Regierung kontrollieren.“
Der Verfassungsschutz hat die Tatsache der fortwährenden Bespitzelung nicht etwa von selbst öffentlich gemacht. Gysi hatte bei der Behörde, wie fast alle Abgeordneten der Linksfraktion, im Sommer vorigen Jahres Akteneinsicht beantragt. Damals war bekanntgeworden, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz zahlreiche PDS-Spitzenpolitiker beobachtet, darunter Parteichef Lothar Bisky. Der jetzige Bescheid ist die Antwort auf Gysis Antrag. Auf acht Seiten teilt der Verfassungsschutz dem PDS-Politiker mit, welche Eintragungen zu ihm vorliegen. Es handelt sich dabei nicht um die Akte selbst. 1997 war Gysi schon einmal mitgeteilt worden, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Die neuen Eintragungen sind allesamt von aufsehenerregendem Neuigkeitswert. Sie zeugen ganz offenbar von Gysis verfassungsfeindlicher Gesinnung. So teilt der Verfassungsschutz dem Delinquenten mit, dass das Neue Deutschland vom 13. April 2005 einen offenen Brief von ihm an den Bundespräsidenten abgedruckt hat, in dem er, Gysi, zu einem souveränen Umgang mit der deutschen Geschichte aufgefordert hat. Außerdem wurde erfasst, dass Gysi sich in seiner Funktion als Berliner Wirtschaftssenator zu Fehlern und Errungenschaften der DDR geäußert haben soll.
„Wie will man im Ernst rechtfertigen, dass ein Verfassungsschutz dafür bezahlt wird, solche Feststellungen zu treffen und zu erfassen“, fragt Gysi. Das sei eine „verfassungswidrige Verschleuderung von Steuergeldern“. Entgegen anderslautenden Erklärungen beweise der Bescheid allerdings auch die Anwendung geheimdienstlicher Mittel und Methoden bei der Überwachung.
So ähnliche Bescheide wie Gysi haben bereits mehr als zehn Abgeordnete der Linksfraktion erhalten, darunter die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau. Vom stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Bodo Ramelow ist schon seit Jahren bekannt, dass der Verfassungsschutz ein umfangreiches Dossier über ihn angelegt hat. Das Bundesamt musste 2006 außerdem bestätigen, dass über die Linksfraktion eine Sachakte angelegt wurde. „Das ist ein offener Verfassungsbruch“, sagt Ramelow.
Die Fraktion will ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz demnächst per Antrag im Bundestag stoppen lassen. Ramelow kündigt Entschlossenheit an: „Notfalls gehen wir bis vors Bundesverfassungsgericht.“