Umweltschutz als Gesellschaftsdrama

GESCHICHTSSCHREIBUNG Warum gibt es nicht längst eine große deutsche Fernsehserie über die Ökologiebewegung?

VON DIRK KNIPPHALS

Vielleicht sitzt ja gerade jemand an einer Geschichte der deutschen Umweltbewegung. Breit angelegt, mit Figurenporträts, Analysen, Ereignisbeschreibungen. Vom Sonnenblumensymbol bis Kretschmann, von der Anti-AKW-Demo bis zur Bioecke im Supermarkt.

Das wäre schön, Zeit für so eine Geschichte wäre jedenfalls. Wenn selbst die FDP und die CSU einem wie auch immer wahltaktisch motivierten Atomausstieg zustimmen, dann ist das ein guter Anlass für ein Selbstverständnis-Update aller Beteiligten.

Leicht ist es aber nicht, so eine Geschichte zu erzählen. Man wird sich davor hüten müssen, nur auf Selbstbeschreibungen der Akteure zu setzen. Und auch bei der Schilderung der gesellschaftlichen Fortschritte, die die Umweltbewegung erzielt hat, gilt es Verengungen zu vermeiden. Schließlich ging es nie nur um die Atomkraftwerke und auch nicht nur um die Schadstoffe im Essen. Der ökologische Protest war stets emanzipativ eingebunden. Erst musste der Politik vermittelt werden, dass eine gewisse Kleinteiligkeit einer großflächigen und zentralistischen Planungswut vorzuziehen ist. Das geschah in den Achtzigern. Dann musste gezeigt werden, dass eine Verbesserung der Lebenswelt konkret darin besteht, Beziehungen zu verbessern – zwischen Mensch und Natur, in Paaren, zwischen Eltern und Kindern.

An diesem Projekt einer Rundumbeziehungsverbesserung, deren Ergebnisse in den Mustervierteln unserer Republik gern als Bionade-Biedermeier verspottet, aber noch lieber tatsächlich gelebt werden, sitzt unsere Gesellschaft wohl gerade. Dieses lebensweltliche Projekt ist wohl auch das Gelenkstück zwischen Umweltbewegung und Gesamtgesellschaft. Es hat sich halt herumgesprochen, dass zu einer Sorge um sich und die Seinen eine Rücksichtslosigkeit gegenüber der Natur nur schlecht passt.

Wie kann man sich nun so eine Geschichte vorstellen? Klar, als erzähltes Sachbuch. Eher in der britischen Tradition. Stupendes Detailwissen, erzähltechnisch versierter Überblick. Als Gesellschaftsgeschichte. So, wie Christopher Clarke über Preußen geschrieben hat.

Aber hier wäre noch ein anderer Vorschlag. Warum macht man keine Fernsehserie daraus? Keine piefige deutsche Vorabendserie natürlich. Auch nicht Dieter Wedel. Sondern so etwas wie diese großartigen US-Serien, ernsthaft und genau wie „Six Feet Under“ oder „The Wire“. Wahrscheinlich scheitert es sowieso an den Realitäten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Aber der Stoff hätte so eine Serie längst verdient.

Marsch durch Subsysteme

Auf diese Idee kann man jedenfalls kommen, wenn man, kein Witz, sich einen Aufsatz von Niklas Luhmann aus dem Jahr 1985 noch einmal durchliest. Ein Jahr vor Tschernobyl stellt sich der Soziologe eine bis heute aktuelle Frage: „Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?“ Die Art und Weise, wie er sie beantwortet – im Wesentlichen: Ja, sie kann, aber nur indem sie sich in all ihren Teilsystemen ändert –, gibt Hinweise darauf, wie so eine Serie funktionieren könnte.

Das Ökothema bezeichnet Luhmann noch als „ganz neu“: „Das Neue liegt nicht in der Forderung, mit der Natur pfleglich umzugehen, sondern in der Einsicht, dass die Gesellschaft sich auf dem Umwege über die Natur selbst ruinieren kann.“ Der Bericht des Club of Rome über die „Grenzen des Wachstums“ war zwar bereits ein gutes Jahrzehnt alt. Aber dagegen stand eine jahrhundertelange Tradition der rücksichtslosen Naturbeherrschung. Das macht die Fallhöhe unserer Geschichte klar: So eine Tradition hält man nicht mal eben nebenbei an.

Vor allem aber bekommt man in dem Aufsatz einen Eindruck davon, was für eine gesellschaftliche Arbeit es bedeutet haben muss, diese Tradition dann eben doch im Verlauf nur einer Generation wenigstens infrage zu stellen. Demos und Leitartikel, mit Ausstiegsforderungen an die Politik adressiert, sind das eine. Daneben brauchte es zudem aber noch einen langen Marsch durch jedes einzelne gesellschaftliche Subsystem.

Man braucht eine Wissenschaft, die belastbare Zukunftsszenarios bereitstellt und Grundlagen alternativer Techniken. Man braucht eine Wirtschaft, die damit Profite zu erwirtschaften versteht. Eine Verwaltung, die immer wieder Grenzwerte festlegt, ab welcher Belastung mit welcher Substanz Produkte als krebserregend einzustufen sind. Wie man an Ehec gerade sieht, braucht es auch ein Gesundheitssystem, das schnell in der Lage ist, auf mutierte Keime zu reagieren. Nicht zuletzt braucht es eine Öffentlichkeit, die all das immer wieder diskutiert, prüft, zueinander in Beziehung setzt und auf immer neue Gefahrenlagen hinweist. Und das alles muss auf jeder Ebene gegen Gegenspieler, eigene Schlampigkeiten und den Teufel im Detail durchgesetzt werden.

Viele gängige Erzählungen über die Ökobewegungen sind verkappte Ruckreden: Man müsste, man sollte, warum sieht man nicht endlich ein, dass …! Es wird so getan, als gehe es allein um die Umsetzung eines längst vorhandenen Willens und Wissens. Dramaturgisch wäre das eher langweilig. Mit Luhmann aber kann man die Geschichte der Umweltbewegung als großes gesellschaftliches Drama erzählen, in das alle eingebunden sind – die Aktivistin und der Sachbearbeiter, der rebellische Experte, der ebenso überzeugte Gegenexperte, der kritische Polizist, der unkritische Kritische-Theorie-Anhänger und die Windkraftingenieurin.

Die schöpferische Arbeit und das kreative Vermögen, die sowohl in Protestplakaten als auch in staubtrockenen Gefahrengrenzwert-Abschätzungen stecken, kann man erst so darstellen. Und es gibt noch einen Vorteil: Ganz nebenbei unterläuft man jegliches Geraune von einer Ökodiktatur; die schöpferischen Leistungen, die in allen gesellschaftlichen Bereichen nötig sind, um sich an ökologische Gefährdungen anzupassen, sind eh nur in offenen Gesellschaften möglich.

Ob die Serie gelingt, hängt vor allem aber von zwei Dingen ab: der Rahmenhandlung und den Konflikten und Gegenspielern. Bei der Rahmenhandlung bitte keine wohlmeinenden Ökosondereinheiten oder klischierten Politikerkarrieren, die mit großen Erwartungen anfangen und im Politikbetrieb allmählich zerbrechen. Wie wäre es mit etwas Einfachem? Der Entwicklungsgeschichte dreier Schwestern. Eine wird politisch in Mutlangen initiiert und dann Referentin bei Kretschmann (oder Chefin der taz). Die zweite wird Aussteigerin. Die dritte kriegt Kinder in Prenzlauer Berg. Wahrscheinlich kann einem noch Besseres einfallen. Wichtig ist: runde, glaubwürdige Figuren! Damit kriegen einen die US-Serien ja immer.

Wie Energiechefs ticken

Noch wichtiger sind die Konflikte und Gegenspieler. Es geht ja keineswegs nur um offensichtliche Probleme mit korrupten Politikern und gefühllosen Managern. Viel interessanter sind die Konflikte, die durch Verkettungen unglücklicher Umstände entstehen oder durch Entscheidungen, die in der Logik des einen Subsystems folgerichtig sind, in einem anderen Subsystem aber ungeahnte Effekte hervorrufen.

Zum Beispiel: Ein politischer Sachbearbeiter muss einen Grenzwert festlegen, ab wann ein Stoff krebserregend ist, obwohl er keine klaren wissenschaftlichen Angaben darüber hat; ein Unternehmer erfindet einen feuerfesten Babyschlafanzug, der allerdings fast an diesen Grenzwert herankommt; ein Journalist bekommt das heraus; die Story wird auf Seite eins hochgezogen, weil unsere Kretschmann-Referentin in letzter Sekunde einen Jubelartikel über die Umweltverträglichkeit der neuen Porsche-Baureihe verhindern kann (das alles ist rein ausgedacht, nur der Babyanzug ist von Luhmann). Aus solchen komplexen Szenarios wüssten die Macher von „The Wire“ spannende Handlungsabläufe zu bauen, vor allem würde man jede einzelne beteiligte Person als Zuschauer verstehen können. Am Schluss gehen die Porsches natürlich trotzdem weg wie warme Semmel, die Schlafzüge werden nach Afrika verschifft, und der Unternehmer hat kein Geld mehr für Biofleisch.

Auch bei den Gegenspielern wäre Glaubwürdigkeit wichtig. Glaubwürdigkeit, Glaubwürdigkeit, Glaubwürdigkeit! Man will als Zuschauer nicht wissen, dass Chefs von Energiekonzernen skrupellos sein können, sondern wie sie wirklich ticken. Ganz große Kunst wäre es, eine Westerwelle-Figur als Gegenspieler einzubauen – und auch ihren Linkenhass noch aus sich selbst heraus verständlich zu machen. Denn wenn sich zuletzt etwas durchgesetzt hat, dann die grüne Form der Individualisierung: mit Individuen, die sich immer als sozial eingebunden verstehen; und sie hat sich durchgesetzt gegen eine Westerwelle-Individualisierung mit ihren leeren Einzelnen. Aber in einer Serie wäre vor allem wichtig, wie das geschah: mit allen gegenseitigen Verunglimpfungen, Unterstellungen und Ambivalenzen.

Das Gute an US-Serien ist, dass in ihnen Konflikte tatsächlich ausagiert werden und auch einmal als unlösbar stehen bleiben können. Und dass alle Figuren ständig vor sich hinkriseln – man aber jeder einzelnen gerne dabei zusieht. So müsste es in dieser deutschen Serie auch sein. Wie auch immer man die Geschichte erzählt, sie müsste (neben der Hilflosigkeit, dass die Gletscher weiterschmelzen) etwas enthalten von einem schieren Staunen darüber, wie weit es die Umweltbewegung innerhalb einer Generation gebracht hat. Und darüber, dass die Probleme deswegen natürlich dennoch niemals aufhören werden.

Hauptsache, Moritz Bleibtreu spielt nicht Boris Palmer.