: Trink- und Sprechgewohnheiten aus der Provinz
Mit ihrem Buch „Der Tanz um die Lust“ bildet Ariadne von Schirach eine hippe Szene ab, die entspannt über Sexiness plaudern kann. Wozu sich also erregen?
Die Grundthese ist einfach und bekannt: Die Welt ist oversexed and underfucked. Die Welt findet für Schirach vorwiegend an der Bar in Szenekneipen, wahrscheinlich in Berlin-Mitte statt. Interessant an ihrem Buch ist etwas anderes: Die Form und der Ton. Lässig werden Formate durchmischt: das populäre Sachbuch, persönliche Geschichten à la Stuckrad-Barre-Pop-Roman und ein bisschen Porno, das heißt explizite Sprache. Das Buch funktioniert wie eine Barplauderei. Klar, dass es dabei um Sex und Sexiness geht.
Dass man damit so viel Aufsehen erregen kann, wie Schirach, liegt an unserer Zeit. Schirach ist wie Eva Herman ein Symptom. Nämlich Folge einer nicht enden wollenden Desorientierung der Mittelschicht. Und da diese sich strukturellen und weiterreichenden Fragen ohnehin ungern stellt, redet sie sich an den Geschlechterverhältnissen fest. Tatsächlich hat sich auch etwas verändert. Frauen in diesem Milieu haben im Vergleich zu ihren Müttern deutlich größere Entscheidungsfreiheit und sind entspannter selbstbewusst. Männliche Vertreter ihrerseits haben sich so weit emanzipiert, dass nur noch wenige Frauen blöd anreden müssen, um sich selbst zu stabilisieren. Wo aber steht dann der Feind, wenn die eigene Wahrnehmung und Erotik sich nicht mehr über die Geschlechterdifferenz sortieren lässt?
Der Titel und das Cover spielen auf ein berühmtes Lust-Buch der späten 80er-Jahre an. Elfriede Jelinek hatte damals mit ihrer gnadenlosen Zuspitzung von patriarchalen Lebensformen als ein einziger Porno für viele Diskussionen gesorgt. Der Fabrikbesitzer und Ehemann, prall vor Lust wie eine Schweinsblase, nimmt sich, was immer er will. Er scheint unbesiegbar. Weshalb sich die endlos oft vergewaltigte Ehefrau am nächst kleineren Glied, dem Sohn, vergreift. „Die Mutter trägt das Kind, dann als sie müd wird, schleift sie es hinter sich her“, beschreibt Jelinek teuflisch lapidar den Mord am eigenen Kind.
Bei Schirach nun fehlt jede Gewalterfahrung. Männer sind vieles, aber bestimmt nicht bedrohlich. Frau ist mit ihnen so selbstverständlich befreundet wie mit Frauen. Auch die Gesprächsthemen sind die gleichen: Sex, Fitness, Kosmetik, Gesundheit, Zukunft. Alle sind irgendwie versorgt und nett zu einander, aber niemand weiß so richtig, wo es hingehen wird. Daher führt man erst mal ein freudvolles Leben und trinkt zu viel. Diametral entgegengesetzt zu Jelineks machtvollen überpräsenten Herren, zeichneten sich insbesondere die hippen Mittelschichtsmänner durch narzistischen Entzug aus. Vom allgemeinen Fleischbeschau so übersättigt, so mutmaßt die Autorin, sind sie von echten Frauen schnell überfordert oder gelangweilt. Ihr Fazit: „Das metrosexuelle Weichei ist die Warenform des Mannes, dessen Preis unbezahlbar geworden ist.“ Die männliche Vormachtstellung ist also nicht passé, basiert aber auf einem anderen Vokabular. Das verwirrt.
Wie immer bei dieser Form der Argumentation werden Einzelbeobachtungen ins Haltlose verallgemeinert. Davon lebt nun mal die Plauderei über die Geschlechter. Und so ist immer von den Männern an und für sich die Rede, deren Pendant dann nur noch die Frau an und für sich sein kann. Aufgeklärter Biologismus, der sich in Glaubenssätzen ausformuliert. Doch sieht man davon einmal ab, dann trifft das Buch einen Punkt im Zeitgeist, der nicht versteht, dass Männer und Frauen viel Spaß miteinander haben können, es aber mit der Liebe dennoch nur selten hinhaut. Dass die Bemühungen um Emanzipation dennoch nicht umsonst sind, zeigt sich etwa in der Unaufgeregtheit der Autorin. Man glaubt ihr den Gleichmut, wenn sie gesellschaftliche Gewohnheiten verletzt, die den Männern die kalte Rede über Sex und den Frauen die über das Gefühl zuschreibt.
Ihre Gelassenheit nun steht im krassen Gegensatz zur Reaktion der Medien auf Schirach: Diese verteidigen munter das 20. Jahrhundert und kreieren einen Erregungszusammenhang, weil eine junge, blonde, gut aussehende Frau gelassen über Sex, Onanie und Pornos spricht. Und aus blaublütigem Hause kommt. Ressentimentfreies und in jeder Hinsicht entdämonisierendes Reden über Sexiness, Männer und sich selbst ist eben keineswegs überall so normal wie in Szenekneipen.
Das Problem der Autorin liegt folglich auch woanders. Sie will sich lossprechen von dem in ihrer Szene so tief verwurzelten Glauben an Glamour. Dabei tappt sie in die Falle ihres Referenzsystems. Pornografie lebt vom Versprechen, dass es etwas unter der Oberfläche, unter den Kleidern gibt – und dass dies superspannend ist. Da dem leider nicht so ist, muss sie unentwegt neue Oberflächen herstellen. Auch die Welt der Schirachs erschöpft sich in der hippen Oberflächlichkeit und reproduziert sich durch die Distinktion von Trink- und Sprechgewohnheiten in der Provinz. Aber, ach, das allein trägt nicht. Weshalb am Ende erwartbar das Hoch auf die „Widerständigkeit des Herzens“ steht; also die hilflose Flucht in den Kitsch. INES KAPPERT
Ariadne von Schirach: „Der Tanz um die Lust“. Goldmann, München 2007, 382 Seiten, 14,95 €