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Archiv-Artikel

Traumfabrik „Silicon Alley“

BOOM In Berlin gründen sich die meisten Start-ups bundesweit. Und das scheint erst der Anfang zu sein. Der gute Ruf der Stadt zieht eine Klientel von jungen Machern und Fachkräften an, die den Kult um die Gründungsmetropole mit Leben erfüllen

30. Jubiläum der deGUT

■ Die Deutschen Gründer- und Unternehmertage (deGUT) haben dieses Jahr allen Grund zum Feiern. Denn die bundesweit größte Messe rund um Existenzgründung und Unternehmertum feiert in Berlin ihr 30. Jubiläum.

■ Im Hangar 2 des ehemaligen Berliner Flughafens Tempelhof werden heute und morgen mehr als 6.000 künftige GründerInnen , aber auch bereits auf dem Markt aktive UnternehmerInnen erwartet. Ein Highlight ist dieses Jahr das kostenlose Workshop- und Seminarprogramm, das sich an den drei Phasen der Unternehmensentwicklung „Planen“, „Gründen“ und „Wachsen“ orientiert.

■ Termin: Freitag, 17. 10. 2014 , und Samstag, 18. 10. 2014, jeweils 10–18 Uhr. Ort: Hangar 2, Flughafen Tempelhof, Columbiadamm 10, 12101 Berlin.

■ Weitere Infos: www.degut.de

VON MIRKO HEINEMANN

NeuroNation ist ein schönes Beispiel: Die Informatiker Rojahn Ahmadi und Ilya Shabanov haben eine effektive Gehirnjogginganwendung entwickelt. Sie soll das Arbeitsgedächtnis verbessern, das in direktem Zusammenhang mit der Intelligenz steht. Die Übungen basieren auf Studien aus der Gehirnforschung, wie sie etwa am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung durchgeführt werden, und ihre positive Wirkung soll auch in einer Studie der FU Berlin nachgewiesen worden sein.

Das Anfangskapital von 50.000 Euro warben die Gründer via Crowdfunding über die Plattform Seedmatch ein. Anschließend stieg der Investorenfonds XLHealth ein, außerdem SPIEGELnet, eine Tochterfirma des Hamburger Spiegel Verlags und der Aeria-Games-Macher Pascal Zuta. Die NeuroNation-App hat nach eigenen Angaben inzwischen über 100.000 Nutzer, das Unternehmen soll seit einem Jahr profitabel arbeiten. Das Schönste an der Geschichte: Hauptsitz des dynamischen Start-ups ist Berlin.

Nicht erst seit dem Börsengang der Berliner Internetfirmen Zalando und Rocket Internet vor wenigen Wochen gilt die Hauptstadt als die wichtigste deutsche Start-up-Metropole. Die Gründer dieser Firmen, die gleichermaßen berühmten wie für ihre Methoden berüchtigten drei Samwer-Brüder, wurden durch den Börsengang in die Liga der Milliardäre katapultiert. Gleichzeitig genießen junge, aufstrebende Unternehmen wie DaWanda, SoundCloud, Wooga, idealo oder eben Synapticon, die Betreiberfirma von NeuroNation, Kultstatus und sind Vorbild für eine ganze Generation von Gründern, die in Berlin die Verwirklichung ihrer Träume anstreben.

Doch was macht Berlin zur Traumfabrik? Nimmt man sich die Geschäftsgründungen des letzten Jahres insgesamt vor, macht die Hauptstadtregion nämlich gar keine so gute Figur: Die staatliche KfW-Bankengruppe sieht in ihrem Gründungsmonitor 2014 Berlin zwar bei den Geschäftsgründungen bundesweit vorn, doch vor allem sei es der selbstständige Nebenerwerb, der rapide zunehme. Bei „Vollerwerb“ wird gar nachlassende Gründungstätigkeit verzeichnet.

Betrachtet man aber diejenigen Gründungen, die unter den Trendbegriff des „Start-ups“ fallen, sieht das schon anders aus. Laut Deutschem Startup Monitor (DSM) führt die deutsche Hauptstadt die Zahl der Gründungen von Start-ups mit 39 Prozent deutlich an. München, Hamburg und das Ruhrgebiet folgen weit abgeschlagen mit 7 beziehungsweise 8 Prozent. Der DSM, ein Forschungstool des Bundesverbandes Deutsche Startups, der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und der Wirtschaftsberater KPMG, definiert ein „Start-up“ so: Es ist jünger als zehn Jahre, hoch innovativ und strebt ein sehr starkes Wachstum an.

Woher aber kommt dieses Gründungsfieber? Hier sei der „Samwer-Faktor“ nicht zu vernachlässigen, gibt Sascha Schubert vom Bundesverband Deutscher Startups zu bedenken. Die meisten der heute erfolgreichen Gründer hätten früher einmal in einer der Samwer-Firmen gearbeitet. Dort, etwa bei Jamba, Zalando, Groupon, Home24, wurde das nötige Know-how vermittelt. „Hier ist eine Art Mini-Inkubator entstanden, auch wenn das nicht die ursächliche Absicht war“, so Schubert.

Der Turbo-Effekt

Das Übrige erledigten plakative Medienberichte über die „Silicon Alley“, wie die Rosenthaler Straße in Mitte in einschlägigen Kreisen angeblich genannt wird. Über lukrative „Exits“, also Verkäufe junger Unternehmen an Großkonzerne, die den Gründern exorbitante Gewinne bescherten. Dies hat zu einem Turbo-Effekt geführt: Der so erworbene Ruf zieht eine Klientel von jungen hungrigen Machern an, die den Kult um die Gründungsmetropole mit Leben erfüllen. „Work hard, play hard“ – wo könnte man dieses Motto besser realisieren als im feierfreudigen und noch relativ preiswerten Berlin?

Gestützt wird dies durch harte Standortfaktoren, etwa die rund 30.000 Absolventen von Hochschulen, die früher auf der Suche nach qualifizierten Jobs die Hauptstadt meist verlassen mussten – auch wenn sie dies nicht wollten. Heute stellt sich ihnen die Gründung eines eigenen Unternehmens oder die Mitarbeit in einem viel versprechenden Start-up als echte Alternative dar. Umgekehrt profitieren auch die jungen Firmen von den gut ausgebildeten Fachkräften. Sie müssen in Berlin – anders als etwa in München, Stuttgart, Köln oder Hamburg – nicht mit den großen Konzernen konkurrieren, die ihren Bewerbern ungleich attraktivere Konditionen anbieten können.

Dazu kommt, dass für ausländische Fachkräfte die deutsche Hauptstadt immer attraktiver wird: „Berlin wird zur internationalen Metropole“, so Sascha Schubert. Das liege nicht zuletzt an der Krise vieler europäischer Länder. Von dort kommen gut ausgebildete Arbeitskräfte nach Berlin, dem Eldorado für IT-Experten, für Programmier, Projektmanager, Webdesigner und Vertriebsmanager – und drehen das Rad weiter.