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Archiv-Artikel

Manipulation an der Strombörse

Geheime Unterlagen der Leipziger Strombörse zeigen, wie deutsche Stromkonzerne gezielt die Preise in die Höhe treiben. Forderung nach Kraftwerks-Verkauf

BERLIN taz ■ Es rieche nach Absprachen auf der Leipziger Strombörse, bemängeln Kritiker schon lange. Doch niemandem ist es bisher gelungen, die vier marktbeherrschenden Stromkonzerne in Deutschland auf frischer Tat zu ertappen. Das könnte sich nun ändern: Eine anonyme E-Mail, über die der Spiegel berichtet, lüftet das „bestgehütete Geheimnis der Strombörse“: Sie listet minutiös jedes Stromgeschäft auf der Leipziger Strombörse EEX vom 1. März 2005 bis zum 31. Dezember 2006 auf.

Mit den Zahlen könnten Fachleute nun detailliert belegen, was auch die EU-Kommission massiv kritisiert: Die vier großen Stromkonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW nutzen ihre Marktmacht gezielt aus, um den Preis in die Höhe zu treiben. Nach Angaben des Bundeskartellamtes beherrschen die vier Konzerne etwa 90 Prozent des Marktes der Stromerzeugung in Deutschland – und verdienen damit glänzend: Allein der Eon-Konzern machte im vergangenen Jahr 8,2 Milliarden Euro Gewinn.

Einträglich ist ihr Stromhandel nicht zuletzt wegen des ständig steigenden Strompreises. Der europaweit maßgebliche Leitwert wird an der Leipziger Strombörse ausgehandelt und hat sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt. Der Absender der E-Mail will mit den Unterlagen offenbar nachweisen, dass die angeblich marktgerechte Preisfindung an der EEX vor allem ein Spielball des Anbieter-Oligopols ist. Insbesondere der Tageskurs für Strom sei anfällig für Manipulationen.

Weil an der Börse nur etwa ein Achtel der deutschen Stromkapazität gehandelt wird, kann der Börsenpreis schon durch den Kauf von vergleichsweise geringen Mengen beeinflusst werden. Zudem richtet sich der Preis nach dem Kraftwerk, das am Netz ist und mit den jeweils höchsten Produktionskosten arbeitet. So kostet die Megawattstunde Strom eines modernen Gaskraftwerkes etwa 50 Euro. Der Betrag sinkt auf ein Drittel, wenn dieser Strom in einem abgeschriebenen Atomkraftwerk produziert wird. Satte Gewinne können erzielt werden, indem die marktbeherrschenden Konzerne ihre Kraftwerke mit billigen Produktionskosten an der Strombörse einfach nicht anbieten – und so den Marktpreis in die Höhe treiben.

Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Dietrich Austermann hält die EEX deshalb für ein „unzulässiges Kartell“. Auch die Europäische Kommission ist aktiv geworden. Wiederholt hat sie in den letzten Monaten Hausdurchsuchungen in den Zentralen der Stromkonzerne durchführen lassen, um Preisabsprachen nachzuweisen. Sie drohte damit, die oligopolistische Macht der Stromkonzerne über die Erzeugung und den Vertrieb zu brechen. Auch Hessens Wirtschaftsminister Alois Rhiel forderte gestern gegenüber der taz: „Notfalls muss das Bundeskartellamt die vier großen Stromerzeuger zum Verkauf eines erheblichen Teils ihrer Kraftwerke zwingen und so das Oligopol zerschlagen.“ Als Käufer kämen unabhängige Stadtwerke, ausländische Investoren oder Finanzinvestoren in Frage. TARIK AHMIA

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