Harter Kassenkampf um Mitglieder

Den Allgemeinen Ortskrankenkassen laufen die Versicherten davon, weil sie für den geplanten Gesundheitsfonds ihre Beiträge drastisch erhöhen müssen. Mit Telefonakquise und speziellen Angeboten wollen sie gesunde Gutverdiener jetzt zurückholen

Für Kranke, Alte und Hartz-IV-Empfänger lohnt sich ein Wechsel meistens nicht

AUS BERLIN ANNA LEHMANN

Einen Einkaufsgutschein für 17,15 Euro gibt es bei der DAK, die innovative Teekanne mit Aromalift spendet die Barmer, und die AOK Brandenburg verlost eine Wellnessreise nach Bad Füssing – die Mitgliederwerbung der Krankenkassen läuft auf Hochtouren. „Jeder jagt hinter jedem her“, beschreibt Jörg Trinogga, Sprecher der AOK Brandenburg, den seit Jahresbeginn entbrannten Wettstreit unter den 250 Kassen.

Zum 1. Januar 2007 haben die Krankenkassen die Beiträge um durchschnittlich 0,6 Prozentpunkte erhöht, wobei die Mitglieder vieler Ortskrankenkassen einen überdurchschnittlichen Anstieg verkraften mussten. In Brandenburg wuchs der Beitragssatz um 0,9 Punkte auf 14,9 Prozent, in Rheinland-Pfalz gar um 1,6 Beitragssatzpunkte auf 15,5 Prozent. Einer Arbeitnehmerin in Mainz mit einem Bruttogehalt von 2.000 Euro werden damit zusätzlich 32 Euro im Monat vom Gehalt abgezogen.

Viele Mitglieder haben daher vom Sonderkündigungsrecht Gebrauch gemacht und binnen zwei Monaten die Kasse gewechselt. Besonders die Ortskrankenkassen klagen über Verluste. Nach Angaben der Süddeutschen Zeitung sollen sie seit Januar 100.000 Mitglieder verloren haben. Der Sprecher des AOK-Bundesverbandes, Udo Barske, möchte diese Zahl noch nicht bestätigen, die genaue Statistik werde erst im April vorliegen.

Die AOK Brandenburg bestätigt einen Schwund, der allerdings weniger dramatisch sei als befürchtet. Rund hundert Mitarbeiter der Kasse rufen seit Januar jedes Mitglied an, das eine Kündigung eingereicht hat, und versuchen es zur Rückkehr zu bewegen. „Ab April wird es ganz neue Angebote geben, jetzt zu wechseln ist nicht klug“, wirbt Kassensprecher Trinogga.

Die neuen Angebote sind vor allem auf die Klientel zugeschnitten, die der AOK jetzt den Rücken kehrt: auf Versicherte mit festem Job und Einkommen. Sie können ab April in Tarife wechseln, bei denen am Ende des Jahres eine Prämie winkt, wenn man kaum krank war und keine ärztlichen Behandlungen brauchte. Für Kranke, Alte und Hartz-IV-Empfänger, die einen großen Anteil der AOK-Versicherten ausmachen, lohnt sich der Wechsel in einen anderen Tarif oder eine andere Kasse dagegen nicht. Für die Kassen gelten diese Menschen als „schlechte Risiken“ – weil sie mehr kosten, als sie einzahlen.

Der Verwaltungsratsvorsitzende der AOK Thüringen, Frank Spieth, der für die Linkspartei im Bundestag sitzt, macht die große Koalition für den Mitgliederschwund verantwortlich. Sie habe den Kassen vorgeschrieben, ihre Schulden bis 2008 abzubauen, damit der Gesundheitsfonds pünktlich starten kann. „Hier wird verlogen argumentiert. Vor einem Dreivierteljahr sollten die Kassen noch Kredite aufnehmen, um ja keine Beiträge zu erhöhen“, kritisiert Spieth. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Kürzung des Bundeszuschusses um 2,5 Milliarden Euro führten zu weiteren Belastungen.

Recht verhalten reagieren die Kassenvertreter auf die aktuelle Bilanz des Bundesgesundheitsministeriums, wonach alle Kassen zusammen im Vorjahr einen Überschuss von 1,7 Milliarden Euro erwirtschaftet haben. „Damit haben wir gerechnet, der Überschuss ist in den Beitragserhöhungen schon einkalkuliert“, dämpft DAK-Sprecher Jörg Bodanowitz Hoffnungen auf baldige Beitragssenkungen.

Seine Kasse konnte die Mitgliederzahl stabil halten. Aufrichtig freuen kann sich hingegen die Techniker-Krankenkasse: „Wir haben deutlich Mitglieder hinzugewonnen“, so eine Sprecherin. Vor allem Versicherte, die über der Versicherungspflichtgrenze von rund 4.000 Euro monatlich liegen, seien zur TK gewechselt, die derzeit mit einem Beitragssatz von 13,5 Prozent wirbt. Und mit einer Verlosung für ein exklusives Wellness-Wochenende für zwei Personen.