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Archiv-Artikel

„Einige fangen bei Null an“

Verbraucherschutzminister Seehofer will Ernährung zum Schulfach machen, damit die Deutschen nicht verfetten. An einer Gesamtschule in Hamburg gibt es das Fach seit 17 Jahren

MICHAEL VEHOFF, 41, ist Fachbereichsleiter Ernährung an der Heinrich-Hertz-Gesamtschule im bürgerlichen Hamburg-Winterhude.

INTERVIEW KARIN CHRISTMANN

Herr Vehoff, wie viele Ihrer Schüler schnippeln im Ernährungsunterricht zum ersten Mal Gemüse?

Michael Vehoff: Kleinere Vorerfahrungen bringen die meisten mit, das reicht vom Obstschnippeln bis zu echten küchentechnischen Fertigkeiten. Aber rund ein Drittel der Schüler fängt bei Null an, das ist zumindest mein subjektiver Eindruck.

Was lernen die Schüler im Ernährungsunterricht?

Im praktischen Teil besprechen wir mit den Schülern ein Rezept, kochen und essen gemeinsam und räumen danach die Küche auf. Die Schüler sollen Arbeitsabläufe kennenlernen, zum Beispiel mit Sparschälern hantieren und die Herdschaltung kennen. Im theoretischen Teil beschäftigen wir uns viel mit der Ernährungspyramide. Die Schüler lernen, welche Lebensmittel sie häufig essen sollten und welche Vitamine und Mineralstoffe diese enthalten.

Müssen Sie den Schülern viele Illusionen über ihre Lieblings-Lebensmittel nehmen?

Nein, gar nicht. Das Wissen, welche Lebensmittel dick machen oder zu süß sind, ist vorhanden. Es geht eher darum, Handlungsalternativen anzubieten, also zum Beispiel neue Gemüsesorten kennenzulernen und so Hemmschwellen abzubauen. Die Schüler bereiten Gerichte vom Obstsalat bis zum Kartoffelgratin zu und kochen sogar ausgefallenere Gerichte wie Risotto, die schwieriger zuzubereiten sind.

Lernen die Schüler dabei fürs Leben oder gehen sie nach Schulschluss doch lieber zur Pommes-Bude?

Alle Versuche, über den Verstand ein bestimmtes Ernährungsverhalten zu vermitteln, sind sehr begrenzt. Deshalb ist unser Ansatz, dass die Schüler selbst Speisen zubereiten und Spaß am eigenen Tun haben. Es ist tatsächlich so, dass die Schüler die Gerichte zu Hause nachkochen. Aber wie nachhaltig der Erfolg wirklich ist, weiß ich nicht.

Haben die Schüler denn Spaß am Unterricht?

Die Rückmeldungen sind sehr, sehr positiv. Der Unterricht kommt den Siebtklässlern und ihrem Bedürfnis, etwas Praktisches zu tun, sehr entgegen. Das gilt übrigens für Gymnasiasten, Realschüler und Hauptschüler gleichermaßen.

Sollten nicht eigentlich Eltern ihren Kindern das Kochen und eine vernünftige Ernährung nahebringen?

Sicher, und die Kinder aus bildungsnahen Schichten haben auch schon Vorwissen. Aber bei den bildungsfernen Schichten beginnen wir im Unterricht wirklich bei Null. Die Ernährungsproblematik ist bekannt: Zu fett, zu süß, zu viele vorgefertigte Gerichte. Unsere Aufgabe ist es, da gegenzusteuern.

Warum unterrichten Sie Mädchen und Jungen getrennt voneinander?

Wir trennen die Geschlechter, um insbesondere den Jungen einen unvoreingenommenen Einblick zu ermöglichen. Sie sollen alle Bereiche der Küchentätigkeit kennenlernen: Wir wollen ausschließen, dass die Jungen im Unterricht Fleisch und Gemüse schneiden und die Mädchen abwaschen. Die Jungen gehen ohne Vorurteile an den Unterricht heran und haben genauso viel Spaß wie die Mädchen.

Was halten Sie von der Idee, allen Schulkindern Ernährungsunterricht zu erteilen?

Ich finde es großartig. Es ist enorm wichtig, dass Schulkinder alternative Erfahrungen mit dem Essen und Kochen machen können und lernen, mit frischen Zutaten umzugehen.

Und bei welchen anderen Fächern würden Sie die nötigen Schulstunden dafür einsparen?

Es müssen keine Abstriche gemacht werden. Wir kommen immer mehr dahin, nicht so sehr in Fächern, sondern stärker in Aufgabenbereichen zu denken. Gesundheit und Ernährung, die bisher nebenbei in verschiedenen Fächern unterrichtet werden, sind so ein Aufgabenbereich.