: Königsblaue Jahrhunderttrottel
Heute ist der letzte Spieltag der Liga. Fazit: Die Dummheit ist ein Meister aus Schalke
Es ist nicht zu glauben. Nein, es ist nicht fassen. „Ob“ man sich Sportschau, Sportstudio, Doppelpass usw. „jetzt ansehen“ könne, fragte ein 04-User nach der verdienten Niederlage der Knappen in Dortmund auf www.forum-aufschalke.de, und der Reihe nach bekam er tatsächlich solche Antworten: „Klares Nein! Ich habe keine Lust, als Loser dazustehen!“ – „Natürlich nicht, und mir graut auch schon vor der Arbeit [am] Montag! Ich höre meine Arbeitskollegen jetzt schon sagen: Das war doch klar, dass das so kommt!“ – „Nein danke. Brauch erst mal meine Ruhe.“ – „Dann doch lieber [einen] herrlichen Internet-Porno.“
So ging das seitenlang weiter, und langsam muss man sogar dem Faselhans Alfred Draxler beipflichten, der in seiner Funktion als Sportchef der Bild am 16. Mai gegen das Geflenne und Gezeter der Schalker Treudoofen die Stimme erhob und jedes Ansinnen, Mitleid mit den Spielern zu entwickeln, barsch zurückwies – und den Flaschen, die sich ausgerechnet von den BVB- Knallerbsen unter Thomas Dolls Regie das Heft aus der Hand hatten nehmen lassen, „Prügel“ verschrieb.
Das dürfte nichts nützen, in alle Ewigkeit nicht, nicht auf Spieler-, nicht auf Anhängerseite. Denn im tiefergelegten Westen, in Gelsenkirchen, sind wirklich allesamt nicht mehr bei Trost, da spinnen wirklich komplett alle. Die Dummheit ist ein Meister aus Schalke, und so brummt es im wenn nicht dümmsten, so aber wahnsinnigsten Fußballforum der Welt in einem fort. „Bin gerade aus Lüdenscheid zurück, ging zu meinem Kiosk. Da sehen mich vier HSV-Fans – und lachen sich minutenlang kaputt.“ „Ich schalte nicht ein, gucke lieber 9 Live.“, erläutert der nächste seinen Fußballkonsum.
9 Live. Na sicher. 9 Live ist ja immerhin mehr als 04, und gewinnen wird unser Meister der Fernbedienung dann vielleicht sogar fünf Buchstaben, wenn er tausend Euro Telefongebühr abdrückt – oder so ähnlich.
Von der Paranoia, die in den vernagelten Schalker Fankreisen kursiert, wollen wir gar nicht erst reden; von dem Gequalle, irgendwelche feindseligen Gestalten beim DFB oder beim FC Bayern hätten den Jahrhunderttrotteln und königsblauen Eseln die Meisterschale entrissen. Nein, da heulen wir doch lieber ein wenig mit Kevin Kuranyi durch die Gegend, der ausgerechnet nach seinem blamablen Gebolze im Westfalenstadion aller Welt steckte, Jürgen Klinsmann, die alte Semmel, habe ihn vor der WM im vergangenen Jahr „eiskalt“ abserviert, so was habe er noch nie erlebt; und ergötzen uns des Weiteren an den Einlassungen des Schalke-Präsidenten Gerd Rehberg, der den Randalenzirkus, den ein paar überragend stumpfe Klotzköpfe beider Parteien nach dem jämmerlichen Derby angezettelt hatten, in der Süddeutschen Zeitung wie folgt kommentierte: „So etwas wie am Samstag, das hätte ich nie für möglich gehalten. So viel Hass und Häme. Wir regen uns über den Fanatismus im Nahen Osten auf, aber das gibt es leider auch hier in Deutschland bei einem gewöhnlichen Fußballspiel.“ Ja logisch, und die jahrtausendealte „Ruhrgebiets-Solidarität“ sei jetzt gleichfalls dahin und im Arsch.
Weiß Gott, der deutsche Fußball ist ein ganz besonders vollendeter Hammelstall. Erklomm bereits die Hinrunde der endlich zu Ende gehenden Spielzeit durch allerlei Abstrusitäten den historischen Gipfel allseitiger Dämlichkeit, so entpuppte sich die Gesamtveranstaltung auf der Zielgeraden nun erst recht als konkurrenzlos dumme, als in der Geschichte der Weltsportart Nummer eins unerreicht schwachsinnige Saison. Die Bremer, die Schisser des Jahrhunderts, bringen es fertig, mit einer glanzvoll besetzten Mannschaft aber auch jedes entscheidende Spiel zu vergeigen (weshalb, nebenbei, Edmund Becker, Trainer des Aufsteigers KSC, Bremens Schaaf just zum Besten seiner Zunft und zum Vorbild erkor), und weil heuer partout keiner, dem man’s gönnen würde, den Titel abgreifen will (also weder Nürnberg noch Frankfurt, weder Bayern noch Burghausen) und niemand, nicht mal der Blatter Sepp, die Deutsche Meisterschaft abschaffen möchte, müssen wir jetzt mit dem VfB Stuttgart leben, dessen Präsident Dieter Hundt heißt (mehr sage ich nicht) und dessen Trainer sich am 15. Mai ganzseitig in Bild porträtieren ließ – und zwar als Hundehalter, von dem wir erfuhren, wie er seine Spieler motiviert: „ ‚Los, Kollege, hol den Stock!‘ Veh wirft einen abgebrochenen Ast weit in die Wiese. ‚Kollege‘ George düst mit Vollgas hinterher.“
So wird man in Deutschland Meister.
Dass es wenigstens Wolfsburg, diese Brutstätte der Dummbeutelei, nicht wird – gut. Dass Hertha BSC nichts reißt, ein Klub, der sich unverdrossen einen Manager namens Hoeneß leistet, der mit einer rekordverdächtigen Endlosreihe von Fehlentscheidungen aufwartet und kürzlich dennoch verkünden durfte: „Ich werde die drei Jahre bis 2010 nutzen, um Hertha fit für die Zukunft zu machen“ – ein gewisser Trost. Aber dass der Ex-Schalker Youri Mulder auf www.sport1.de prophezeite: „Das wird noch gut für Schalke ausgehen“ – das wollen wir dann doch überhört haben. Sonst müssten wir noch mal aus dem Schalke-Forum zitieren: „Ich glaube, insgeheim ist die Schmierenpresse rundum happy, wenn sie Jahr für Jahr unsere Fans mit Tränen in den Augen zeigen kann. Gestern in der BamS: ‚Schalke nie mehr Meister!‘ – und darunter Bilder von Fans, denen die Tränen übers Gesicht fließen. Was soll der Scheiß eigentlich? Auflage und Umsatz auf Kosten der Gefühle von Menschen?“
Ehrlich? Ist das wahr? Ist es wieder so weit? Bzw.: „Wie erbärmlich ist das eigentlich? Ich kann nur jedem zu einem eigenen ‚Presseboykott‘ raten.“
Und ich: zu einem Boykott des deutschen Fußballs. Es ist das alles allzu tränentreibend bescheuert. JÜRGEN ROTH