der wochenendkrimi
: Darkwave und kleine Schwarze

„Tatort: Familiensache“, So., 20.15 Uhr, ARD

Ein Frauenbein, das in der Wohnung ein Stockwerk höher verschwindet, weckt sein Interesse. Unten liegt ein erschossenes Ehepaar, doch Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) steigt lieber der Nachbarin der Toten nach. Wie er herausfindet, ist diese Cornelia Stummvoll (schön, müde, undurchsichtig: Ulli Maier) Mutter einer Halbwüchsigen, weshalb der Ermittler mal eben ungefragt den Frust über die eigene Tochter bei ihr ablädt. Die Frau reagiert denkbar desinteressiert, Eisner trottet davon. Vielleicht gibt es irgendwo noch einen kleinen Schwarzen abzustauben.

Regisseur und Autor Thomas Roth, der auch für die großartigen „Trautmann“-Krimis vom ORF verantwortlich zeichnet, hat mit „Familiensache“ einen ungewöhnlich formstarken und aufwühlenden Österreich-„Tatort“ gedreht. Fetischverehrung à la Truffaut trifft hier auf Wiener Tristesse: Die attraktive reife Brünette öffnet dem Kommissar das Tor in eine Welt, die von pragmatischer, aber auch verhängnisvoller Einsamkeitsbekämpfung bestimmt ist. Wie die ermordete Nachbarin war sie Mitglied in einem Single-Club, der sich bei einer Undercover-Recherche Eisners als Mischung aus edel verwittertem Tanzcafé und Swinger-Hort entpuppt. Bald wird auch die Leiterin dieses mäßig diskreten Etablissements getötet. Hintergrund, so findet Eisner recht schnell heraus, ist die Entführung von Stummvolls Tochter, die sie vor der Polizei geheimzuhalten versucht.

Ein sonderbares Sammelsurium sozialer Pleiten erlebt der Ermittler, als er versucht, auf eigene Faust den Fall zu lösen, ohne den Entführer zu brüskieren. Die stolze Stummvoll bleibt auf Distanz, da kann Eisner noch so sehr vom Leid mit dem eigenen Spross erzählen, und bei der Undercover-Recherche muss er sich irgendwann bei einer alten Schauspielerdiva einmieten, die ihren Sohn mit aggressiver Mütterlichkeit in ein Monstrum verwandelt hat. Daheim geht ihm die 17-jährige Tochter mit Darkwave-Allüren und einem Freund, der ungeniert nackig vor dem Hausherren rumrennt, auf die Nerven. So unlässig wollten wir Inspektor Eisner schon lange mal sehen: Nicht mal sein Espresso scheint ihm noch zu schmecken.

Christian Buss