: Die Nacht ist hell
HAUSBESUCH Er hat Ideen bei Vollmond, sie sorgt dafür, dass er auf dem Boden bleibt. Die Diembecks auf Kubbelkow
VON WALTRAUD SCHWAB (TEXT) UND ARIANE BILLE (FOTOS)
Zu Hause bei Kinga Diembeck (38) und Axel Diembeck (45) auf dem Gutshof Kubbelkow in Klein Kubbelkow auf Rügen. Zwei Kinder, Sarah, 12, und Paul, 9, die Eltern Kingas, ein Onkel und ein Neffe von Axel leben auch im Haus. Der Onkel macht Tischlerarbeiten, der Neffe eine Lehre zum Koch, ihre Mutter versorgt die Familie, ihr Vater ist der Gärtner.
Drin: Teppiche, holzvertäfelte Wände, Sofas und Sessel aus dunklem Leder, Vorhänge aus schwerem Brokat, die den Blick aus dem Fenster auf den Park weich einrahmen, ein gusseiserner Ofen – der spielt noch eine Nebenrolle im Text. Auch die Kommode im Speisezimmer, die hinter der Tür steht. Die Lounge, da wo der Tresen ist, ist wie das Wohnzimmer der Diembecks. Im Sommer sitzen Gäste dort, „im Winter feiert die Familie hier Weihnachten“.
Draußen: Ein Fachwerkhaus, Herrenhaus, die von Barnekows – mecklenburgischer Uradel – wohnten hier bis zur Flucht kurz vor Ende des Krieges. Vom riesigen Garten aus verschwindet das Haus hinter den Bäumen. Mitunter äsen Rehe hier. Ausgelegt für zwei Leute soll das Herrenhaus gewesen sein, nach dem Krieg bis weit nach der Wende wohnten mehrere Familien hier. Bevor Diembeck es 2003 kaufte, „für 213.000 Euro, stand in jeder Zeitung“, verkam es zwei Jahre unbewohnt. In der Lounge liegt ein Buch mit Fotos von dem Zustand, als sie es übernahmen. Auf einem Bild Kinga Diembeck, ihr Blick eingefroren, skeptisch, „oh Gott“. Da wusste sie schon, dass sie einen Mann mit Visionen hatte.
Was machen sie? Sie verwirklichen Träume. Sie arbeiten seit zwölf Jahren daran, das Herrenhaus des Gutshauses in das kleinste Viersternehotel Mecklenburg-Vorpommerns zu verwandeln. Ihre Zauberstäbe: Hammer, Meißel, Hobel, Kochlöffel, Flinte. (Diembeck kann mit allem umgehen.) Ihr Zauberspruch: „Es wird schon klappen!“
Axel Diembeck, 1969 in Osnabrück geboren, Sohn eines Friseurmeisters, Enkel eines Friseurmeisters, Bruder einer Friseurin, sein Urgroßvater war ebenfalls Friseur. „Ich wollte was anderes machen“, sagte er. Tischler. Aber er fand keine Lehrstelle, stattdessen eine zum Metzger mit allem drum und dran, Schlachten, Häuten, Fleisch beschauen, Wurst machen. Danach lernte er noch Koch und zog durch die Küchen von mit Sternen ausgezeichneten Häusern. Später zog er als einer umher, „der Hotels aufbaut“, soll heißen, neue Hotels zum Laufen bringt. Eins davon ist in der Nähe von Stettin. Dort lernt er Polnisch („wenn man im Land lebt, geht das schnell“) und Kinga kennen. „Ich konnte kein Deutsch“, sagt sie.
Kinga Diembeck ist im Gegensatz zu ihrem Mann wortkarg. Sie kommt aus Lipiany, einem Ort nahe Stettin, lernte Restaurantfachfrau. Jetzt sorgt sie dafür, dass sich die Gäste im Haus wohlfühlen.
Erde: Diembeck ist mit Leib und Seele Koch. Er will die Nahrungsmittel, die er verarbeitet, genau kennen. Der Fisch aus der Ostsee, der zapple noch, wenn er bei ihm ankomme. Und Wild treffe den Nerv der Zeit. Klar, Jäger ist er auch („Wild wird nicht gemästet, kriegt keine Hormone“). Vom Gemüse aus seinen Garten wiederum weiß er, dass keine Pestizide darauf abgeladen wurden. Er geht, sagt er, durch den Park, probiert – „Sauerklee, Vogelmiere, Pilze“, fallen ihm gerade ein – und wisse, was dazu passt. „Kochen ist schon ’ne Kunstrichtung. Man komponiert.“ Lavendel zu Rote Bete fällt ihm ein, „aber Vorsicht, wenn man nicht aufpasst, geht das schnell Richtung Badeschaum“. Und plötzlich ist er nicht mehr zu stoppen: Vitello vom Schwarzwild in Sanddorn-Thunfisch-Marinade, rosa gebratenes kaltes Wildschwein mit Oktopus-Pfirsich, Waldpilztagliatelle und Bolognese vom Reh mit Trüffelschäumchen, Fenchelblüten aus dem Garten dazu.
Himmel: Diembeck habe lange darüber nachgedacht, ob er Michelin-Sterne annehmen würde, wenn er nominiert wäre. „Man wird da ja gefragt.“ Er hat sich dagegen entschieden. „Ich will die Leute überraschen“, sagt er. „Habe ich einen Stern, ist die Chance größer, dass ich die Leute enttäusche.“ Ein Stern, meint er, enge seine Freiheit ein.
Das Neue: Zufall habe ihn nach Kubbelkow geführt, erzählt Diembeck. Zwei Jahre hätten viele aus der Familie gearbeitet („Dieses Haus ist ein Familiending“), bis sie in den ersten zwei Zimmern das Restaurant eröffnen konnten. Nach und nach kamen neue Räume dazu. Jetzt haben sie sechs Hotelzimmer, alle mit edlen Möbeln ausgestattet. Sie sehen ein wenig aus wie Adel vor hundert Jahren plus Flachbildschirm. Die Zimmer sind nach den Menschen benannt, die mitgeholfen haben. Die Margritsuite nach seiner Mutter, die Geniasuite nach ihrer Mutter, das Barnekowzimmer. Zuletzt haben sie den Wellnessbereich eingebaut – er habe sich die Technik ausgedacht, gefliest und einen Anbau mit lichtdurchfluteter Bibliothek, wo man sich auch ausruhen kann, entworfen. Als er die Bibliothek zeigt, drückt er auf einen Knopf, plötzlich schieben sich zwei Betten in den Raum, die sonst senkrecht hinter der Bücherwand verstaut sind. Man könne, meint er, die Bibliothek so auch als Zimmer nutzen. Wenn er auf dem Hochsitz sitzt, fallen ihm solche Sachen ein. „Wenn Sie so ein Objekt haben, aber keinen reichen Onkel, dann müssen sie Tausendsassa sein.“
Das Alte: Diembeck liebt alles, was mit Handwerk zu tun hat. Deshalb kann er auch so viel. Und er liebt, was Historie hat. Dinge, Häuser, denen man ansieht, dass sie langlebig geplant sind. Auch Autos. In seiner Garage steht ein 50 Jahre alter Bentley. „Der fährt.“ Heute sei alles ein Einheitsbrei („Häuser, Autos, alles sieht gleich aus“). Und er begreife nicht, dass nichts mehr halten muss. „Diese Wegwerfgesellschaft, das ist doch krank. Dinge produzieren ohne Funktion, das ist doch krank.“ Er sammle, seit er 15 ist, Antiquitäten. Er zeigt auf den gusseisernen Ofen. Mit 16 hatte er den aufgetrieben, „stand jahrelang in einem Schuppen, jetzt ist er perfekt“. Er springt auf, „ich zeige Ihnen noch was“, geht ins Speisezimmer, kniet sich vor ein Schränkchen, das in einer Ecke steht, zeigt die Intarsien aus Messing, Elfenbein, Perlmutt, fährt mit der Hand darüber, „wer stellt heute noch so was her?“.
Wie finden Sie Merkel? „Ich hab ja mehrfach für sie gekocht“, sagt er. Sie: „Was heißt mehrfach?“ Er: „Na gut, zwei Mal.“ Mit Merkel sei er zufrieden, mit der Gesamtsituation nicht. „Unser Land ist krank. Auflagen, Verordnungen, Filz. Es gibt eine Bürokratie, die alle beschäftigt, damit die Leute in den Ämtern beschäftigt sind.“ Letztes Jahr hatten sie eine gute Saison. Prompt muss er so viel mehr Steuern bezahlen, dass der Erlös aufgefressen werde. „Das ist doch nicht richtig, wenn man bestraft wird, wenn man über die Maßen Leistung schafft.“
Wann sind Sie glücklich? Sie: „Wenn es eine Balance gibt.“ Er: „Im Sommer wissen wir nicht, wo uns der Kopf steht, im Winter nicht, wovon wir die Rechnungen bezahlen sollen. Glücklich bin ich, wenn ich im Sommer weniger arbeiten muss und im Winter mehr Arbeit habe.“ Sie nickt.
Zeit: Wann hat so ein Koch-Jäger-Metzger-Fliesenleger-Tischler-Erfinder Zeit, das zu erzählen? Um Mitternacht. Zuvor bekochte er die Gäste, anschließend geht er noch auf den Hochsitz („Vollmond, die Nacht ist hell“). Am nächsten Morgen: Was geschossen? „Einen Marderhund.“ Seinen sechzehnten in diesem Jahr.
■ Nächstes Mal treffen wir Steffi Wittenberg in Hamburg.
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