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Archiv-Artikel

Ein kleinerer Versuch über den Schmutz

Wenn Putzfrauen an die Öffentlichkeit drängen, spült das meistens auch Schmutz in die Medien, den ihre Auftraggeber eigentlich vermeiden wollen. Also bleiben sie vorsichtshalber lieber unter sich, auch wenn ihre Arbeitsverhältnisse oft mehr als unsauber sind. Eine kurze Sozialgeschichte der Putzfrau

VON HELMUT HÖGE

Der Bundestag beschäftigt Putzfrauen, die von ihrer Reinigungsfirma noch 2,50 Euro weniger bezahlt bekommen als der tarifliche Mindestlohn für Gebäudereiniger vorsieht: 7,78 Euro pro Stunde. Die Firma meinte dazu, dass die Putzfrauen zu langsam arbeiten würden, um ordentlich entlohnt zu werden. Als das ruchbar wurde, beschloss der Bundestag, erst die IG BAU als Anzeiger zu rügen und dann den Vorfall zu prüfen, gegebenenfalls der Reinigungsfirma zu kündigen. Auch die taz beschäftigt eine solche Firma.

Kurz vor der Fußball-WM wurde den Putzbrigaden in sechs Fünf-Sterne-Hotels der Lohn pro Zimmer von 3,58 Euro auf 2,90 Euro gekürzt. Sie kamen damit auf einen Stundenlohn von 5,80 Euro. Die zumeist ausländischen Zimmermädchen schrieben einen Protestbrief, in dem sie eine Belegschaftsversammlung forderten. Fünf von ihnen schmiss die Geschäftsführung daraufhin raus, die Übrigen gaben klein bei – und schwiegen.

„Särr hiebsch, särr siess“

Man wusste aus diesen und ähnlichen Gründen lange Zeit nur sehr wenig von Putzfrauen. Höchstens dass ihre Arbeitgeber in Privathaushalten mehr oder weniger lustige Geschichten über sie erzählten. Zuletzt, 2007, zum Beispiel der Münchner Paul Sahner im Magazin Dummy – unter dem anzüglichen Titel: „Särr hiebsch, särr sieß“.

Seit Auflösung der Sowjetunion und der weltweiten Privatisierungen spricht man von einer „Dienstleistungsgesellschaft“, in der die Arbeitslosen auf vielfältige Weise neue Beschäftigung finden werden. Als einziges konkretes Beschäftigungsfeld, das neue Arbeitsplätze schaffe, nannte die Kohl-Regierung jedoch nur die „Privathaushalte“. Und prompt entstanden 100 Agenturen, die als Arbeitgeberin von Hausarbeiterinnen diese in die entsprechenden Haushalte entsendeten. Im Rahmen der Hartz-Gesetze unternahm die rot-grüne Regierung dann den Versuch einer Regulierung dieses wachsenden Frauen-Arbeitsmarktes – mit der Kreierung von „Mini-Jobs“ und einer „Mini-Job-Zentrale“. Gleichzeitig wurden Hartz-4-Empfängerinnen gezwungen, „Mini-Jobs“ als Hausarbeiterinnen anzunehmen.

Diese wundersame Wiederauferstehung der „Mägde“ und „Mädchen für alles“ aus der Vorkriegszeit (siehe dazu Uta Ottmüller „Die Dienstbotenfrage“ und Elisabeth Kottmeier „Ostpreußischer Mägdesommer“), die diesmal jedoch zumeist aus dem ehemals sozialistischen Osten kommen und dort hochqualifiziert wurden, lässt neben der Politik auch immer mehr Künstler und Wissenschaftler keine Ruhe. So drehte zum Beispiel die Hamburger Regisseurin Silke Fischer 1998 den Film „Paris Poussière – Putzen in Paris“, in dem es um die riesigen Bürokomplexe dort geht und um die Menschen, die sie nachts putzen. In einem „Kunstprojekt“ geht derzeit die Berliner Architektin Bettina Vismann der Frage nach: Warum werden die Häuser noch immer von Männern außen geplant und gebaut – während ihre Innenarchitektur meistens von Frauen geplant und geputzt wird?

„Attraktiv und arbeitslos“

Die Berliner Dokumentarfilmerinnen Judith Keil und Antje Kruska porträtierten dazu bereits 2001 drei Putzfrauen: die Argentinierin Delia, die eigentlich Malerin ist; ferner Gisela, die nachts die neuen Edelboutiquen in der Friedrichstadtpassage putzt, sowie Ingeborg, die sich – „attraktiv, einsam und arbeitslos“ – auf die Suche nach einer neuen Putzstelle macht.

Eine ähnliche Konstellation – nur mit Schauspielern – findet sich schon in Ken Loachs Film „Bread and Roses“, der von mexikanischen Putzfrauen in Kalifornien handelt – denen ihr Reinigungsunternehmen das Leben so schwer macht, dass sie anfangen, sich mit einem Gewerkschafter dagegen zur Wehr zu setzen. In einer Art Selbstversuch hat die US-Journalistin Barbara Ehrenreich 2002 Ähnliches unternommen, indem sie sich als Putzfrau in Kalifornien verdingte, um anschließend darüber das Buch „Working Poor“ zu schreiben. Der US-Markt wird von großen Reinigungsfirmen dominiert. Die Putzfrauen bekommen ihre Kunden fast nie zu sehen – nur durch die Einrichtungsgegenstände, die sie sauber halten müssen, können sie sich ein Bild von ihnen machen. Der eine hat eine große Bibliothek über Zen-Buddhismus, der andere sein Badezimmer zu einem Nassorgiencenter ausgebaut … Die Putzfrauen tragen grelle grün-gelbe Arbeitskleidung und ihre Arbeitsgänge sind von der Reinigungsfirma mit der Stoppuhr ausgetüftelt. Sie dürfen nicht fluchen und nicht einmal ein Glas Wasser trinken – der Kunde könnte sie mit Aufnahmegeräten überwachen. Die Autorin kommt mit all dem noch zurecht, aber als sie sich für eine Kollegin einsetzen will, die sich nach einem Arbeitsunfall nicht getraut hatte, zur Ambulanz zu gehen, scheitert sie: „Dies war der absolute Tiefpunkt in meinem Putzfrauenleben, und wahrscheinlich nicht nur in dem.“

Barbara Ehrenreichs Kolleginnen in Kalifornien kamen überwiegend aus Osteuropa. Über die von dort nach Berlin eingewanderten Putzfrauen gibt es eine wissenschaftliche Untersuchung – von der in Oxford lehrenden Soziologin Małgorzata Irek. Sie hatte zunächst versucht, sich bei einer Gruppe polnischer Putzfrauen einzuschleichen, war dabei jedoch an ihrer mangelnden Kenntnis deutscher Putzmittelnamen gescheitert. Stattdessen interviewte sie dann zehn Jahre lang die nach Berlin reisenden polnischen Putzfrauen im „Schmugglerzug Warschau–Berlin–Warschau“, so hieß dann auch ihr Buch. Derzeit arbeitet Małgorzata Irek an einer Biografie über eine „sehr erfolgreiche polnische Putzfrau“. Bei den in Berlin arbeitenden unterscheidet sie zwischen den „Putzfrauen der ersten Generation“, die bis etwa 1990 aus einem staatlich „ausgewählten Personenkreis“ bestanden, und den „Putzfrauen der jüngeren Generation“, die danach kamen und auch „einen Hauch vom Kapitalismus spüren“ wollten. In Berlin wurden und werden sie in einem „Netz“ tätig, das die Älteren vor ihnen aufgebaut haben – und wofür sie auch Abgaben verlangen. Ihre Meinungen über die Kunden, bei denen sie putzen, sind mitunter deftig. Als Danuta von der Arbeit Ekzeme an ihren Händen bekommt, sagt sie: „Das kommt vom Essig. Diese Kühe wollen alles ökologisch haben.“ Geschätzt werden dagegen die deutschen Professoren: „Sie sind nicht pingelig und eigentlich braucht man überhaupt nicht gründlich sauber zu machen“. Die meisten Putzfrauen halten so lange durch, bis sie sich eine eigene „respektable“ Existenz in Polen aufgebaut haben, einige heiraten auch Deutsche, nicht zuletzt, um aus der Illegalität rauszukommen. Während die polnischen Putzfrauen hier einen Status als Unternehmerinnen anstreben, kämpfen sie in den USA um minimalste Gewerkschaftsforderungen.

Nun gibt es gleich zwei umfangreiche neue Untersuchungen über Putzfrauen – weltweit. Zum einen die vom Hamburger Institut für Sozialforschung veröffentlichte Studie der ungarischen Soziologin Maria S. Rerrich: „Die ganze Welt zu Hause. Cosmobile Putzfrauen in privaten Haushalten“. Und zum anderen eine engagierte Übersetzung des Buches „Doing the Dirty Work. Migrantinnen in der bezahlten Hausarbeit in Europa“ der englischen Soziologin Bridget Anderson, die in der für die Rechte dieser Frauen kämpfenden Gruppe Kalayaan mitarbeitet. Während Maria S. Rerrich ihr Wissen zum Teil noch bei gebildeten Frauen aus ihrer eigenen „Klasse“ abschöpfte, die selbst Putzfrauen beschäftigen, nimmt Bridget Anderson ebenso konsequent wie radikal den Standpunkt der „Migrantinnen in der bezahlten Hausarbeit“ ein – und zwar gegen die sie beschäftigenden wohlhabenden Frauen und deren Männer. Eine äthiopische Hausangestellte in Athen erzählte ihr: „Männer übernehmen keine Aufgaben im Haushalt. Äthiopische und griechische Männer sind sich da gleich. Wenn die Griechen es sich leisten können, stellen sie jemand ein, sonst muss es die Frau machen.“ Die Hausfrau, die dann hofft, dass sie sich bald eine Putzfrau leisten kann, der sie nur noch sagt, was zu tun ist, wobei sie auf die gleiche oder womöglich noch strengere Sauberkeit und Ordnung (als Lifestyle- und Statuserhalt) pocht als ihr Mann, der dafür bezahlen muss. Und der deswegen nicht selten der Putzfrau auch noch „sexuelle Dienstleistungen“ abverlangt, wie beide Untersuchungen betonen. „Die Hausarbeiterinnen bewiesen durch Körperlichkeit und Schmutz ihre Minderwertigkeit; während die Arbeitgeberinnen ihre Überlegenheit durch Weiblichkeit, Anmut und Führungsqualitäten demonstrierten. Und Arbeitgeber bewiesen ihre Überlegenheit dadurch, dass sie sich keinen Moment lang Gedanken über die Plackerei im Hause zu machen brauchten, derweil sie das Heim als Ort der Zuflucht, als wohl verdienten Ruhepunkt nach dem Stress und den Belastungen der produktiven Arbeit zu schätzen wussten“, so Bridget Anderson.

Dies gilt weltweit, in Bezug auf Berlin fand die Autorin es aber „besonders bemerkenswert, dass Hausarbeiterinnen, die in Zeitungen inserieren, hier klarstellen ‚No Sex‘, womit sie deutlich machen, dass sie ein Angebot von ‚Hausarbeit‘ für missverständlich halten“. Besonders unangenehm ist es für jene Frauen, oft auch „Au-pair-Girls“, die bei ihren Arbeitgebern nicht nur putzen, sondern auch wohnen. Nona, eine Philippinin in Athen, meint: „Selbst wenn du schläfst, wenn du endlich schläfst, hast du noch das Gefühl, dass du im Dienst bist.“

Gegen all diese und andere Zumutungen haben die Putzfrauen, besonders die illegalen, mit Touristenvisum eingereisten, die nicht selten noch eine Schlepperbande abzahlen müssen, sich eigene „Netzwerke“ aufgebaut, in die auch manchmal Arbeitgeber einbezogen sind. Sie treffen sich regelmäßig – in Berlin zum Beispiel die polnischen und philippinischen Putzfrauen jeden Sonntag in einer katholischen Kirche, anderswo in Parkanlagen oder Räumen der Caritas. Und untereinander vermitteln sie sich dort Putzstellen, Wohnungen und Notkredite.

Putzen und putzen lassen

Einige polnische Putzfrauen leben inzwischen ausschließlich von der Pflege und dem Ausbau eines solchen Netzwerks, das heißt, sie sind eine Arbeits- und Wohnvermittlungsagentur geworden und lassen andere für sich putzen. Dies gilt selbst noch für die an Straßenkreuzungen stehenden jugendlichen Autoscheibenputzer, unter denen sich einige dazu aufgeschwungen haben, Putzzeug und gute Putzplätze zu stellen – während andere die Arbeit machen. Hier wie dort „sind die sozialen Kontakte ein Startkapital,“ meint Maria S. Rerrich, die über die cosmobilen Putzfrauen, worunter sie „Transmigrantinnen und Illegale“ versteht, urteilt: „Hier findet nicht nur ein sogenanntes brain drain aus den Heimatländern der Frauen statt. (…) Es handelt sich auch um einen brain waste in Deutschland, also die vielfache Verschwendung von Humankapital“ – wenn diese hier gezwungen sind, sich als Putzfrauen in irgendwelchen Wohnungen, Hotelzimmern und Büros zu verschleißen – nachts wohlmöglich noch und hoffnungslos unterbezahlt.

Die IG BAU will nun aber etwas gegen ihr „schlechtes Image“ tun – mit einer bundesweiten Kampagne: „Ich putze Deutschland“. Während das ehemalige Zimmermädchen aus dem Hotel Apollo, Susanne Frömel, nur meint: „Dein erstes Zimmer vergisst du nie.“ Und da sind wir nun. Dabei fing alles so aufklärerisch, geradezu hoffnungsvoll an –1968: Da veröffentlichte Christian Enzensberger bereits einen „Größeren Versuch über den Schmutz“.

PS: Die taz-Putzfrauen bzw. -männer bekommen von ihrer Reinigungsfirma Tariflohn, mit Nacht- und Feiertagszuschlag 11 Euro die Stunde. Allerdings wurde die Brigade schon mehrmals – auf Drängen der taz – wegen ungenügender Reinigungskraft gerügt und ausgewechselt.