: Tage des Bumerangs
FRANKREICH Philosoph Luc Ferry nimmt den Mund gern voll – und hat jetzt Ärger mit seiner alten Uni
Seine nächste Abhandlung wird der französische Philosoph Luc Ferry wohl dem Thema „Über den Nutzen der Schweigsamkeit“ widmen. Er hatte im Zusammenhang mit dem Skandal Strauss-Kahn in einer Fernsehsendung zum Thema, wie die Medien mit Gerüchten im Bereich Sex und Macht umgehen, wichtigtuerisch ein Beispiel für das Dilemma der Medien erwähnt: Er wisse selber, dass vor vielen Jahren ein ehemaliger Minister, dessen Namen er mangels Beweisen nicht nennen dürfe, in Marokko bei einer Orgie mit Minderjährigen erwischt, aber nie belangt worden sei. Das habe er übrigens von einem früheren Premierminister. Vor den anderen, schockiert und verneinend den Kopf schüttelnden Studiogästen behauptete er sogar, alle am Tisch wüssten, wen er mit der verhüllten Anschuldigung meine.
Im Internet begannen sofort die Spekulationen: Schon wenige Minuten später zirkulierten gleich mehrere Namen. Der von Ferry gemeinte pädophile Minister, das sei doch … Das Magazin L’Express musste sogar offiziell mitteilen, dass es schon in den 80er Jahren solche Gerüchte über einen bekannten sozialistischen Politiker gegeben habe, die sich aber bei einer eingehenden Überprüfung als völlig unhaltbar erwiesen hätten.
War also Ferrys Enthüllung womöglich doch keine Bombe, sondern ein nasser Knallfrosch? Von links und rechts wurde er belehrt, dass er schweigen solle, wenn er nichts Genaues wisse; und falls er tatsächlich Kenntnis von einem Sexualverbrechen habe, wäre es kriminell, dies der Justiz und der Öffentlichkeit seit Jahren vorzuenthalten. Auch bei einer polizeilichen Anhörung wollte oder konnte Ferry aber keine Namen und Details preisgeben. Er hatte sich aber bereits zu sehr exponiert und muss jetzt dafür büßen. Das nennt sich dann Bumerang.
Le Canard Enchaîné und andere Zeitungen enthüllten nämlich, dass der auf die Moral pochende Philosoph mit einem Monatsgehalt von fast 4.500 Euro seit 1997 als Dozent der Universität Paris-VII angestellt ist, laut Libération aber schon seit 1993, also seit 18 Jahren, keine einzige Vorlesung mehr gehalten hat.
Für diese sehr außergewöhnliche Freistellung durch das Ministerium hat er eine gute Ausrede für knapp zwei Jahre von 2002 bis 2004; da war er selber Erziehungsminister. Für die restliche Zeit macht er geltend, er sei intensiv als Berater für den Premierminister tätig gewesen. Auch dafür kassierte er ein Gehalt von der Regierung.
Von wegen „Philosophie ist eine brotlose Kunst“. Dem jetzigen Premierminister François Fillon ist die Sache so peinlich, dass er der Uni das Gehalt dieses Hörsaalschwänzers für das zu Ende gehende Studienjahr vergüten will. Ferry dagegen ist sich keiner Schuld bewusst, er droht allen, die ihn wegen seines lukrativen Nebenverdiensts als Nichtdozent oder Teilzeitberater der Veruntreuung öffentlicher Gelder beschuldigen könnten, mit einer Strafklage. RUDOLF BALMER, PARIS