Vom Weltgebäude herabgerufen

Hans Wollschläger stand in vielen Schatten: als Schriftsteller, Übersetzer und Organist suchte er das Geistergespräch mit der Vergangenheit. Berühmt wurde er mit seiner Übersetzung von Joyce’ „Ulysses“. Mit 72 Jahren ist er nun gestorben

VON EKKEHARD KNÖRER

Karl Kraus war das Vorbild. Einer, der seiner Zeit mit der Kraft nur des Wortes widersteht. Sprachgewaltig, versessen auf die Vernichtung des Falschen en gros, mehr noch en detail. So einer wäre auch Hans Wollschläger gerne gewesen. Nur waren die Zeiten, die er als „geistfern“ beschimpfte, nicht danach. Die Publikationsform, die Kraus mit der Fackel aus dem Nichts sich schuf, die fand Wollschläger nicht. Und vielleicht war auch Hans Wollschläger nicht danach. Denn im Grunde hielt er seine Reden sowieso vom Weltgebäude herab, wie der Christus in Jean Pauls großer Endzeitvision. Wollschläger formulierte sub specie aeternitatis und suchte das Geistergespräch mit den großen Geistern der Vorzeit. Manchmal geriet das furios, mal eher dröhnend: nur Widerhall fand es wenig.

Kein Zufall, dass seine flammende Streitschrift wider den Tierversuch mit dem Titel „Tiere sehen dich an“ dann in Uwe Nettelbecks aus dem französischen Exil herausgegebenen Periodikum Die Republik erschien. Da fanden zwei zueinander, die mit den Dingen, wie sie nun lagen, sich nicht gemein machen wollten. Die die glänzenden Karrieren, die sie im Betrieb der Statur und dem Talent nach hätten machen können, aus Sturheit und Eigensinn verweigerten. Und trotzdem oder eben deshalb der Gegenwart, der sie sich entzogen, in Abscheu und Widerstand aufs Engste verbunden blieben. Vielleicht war dies der eigentümlichste Zug des vor hochfahrenden Selbststilisierungen nie zurückschreckenden Wollschläger: die Besessenheit, mit der er an den verehrten wie auch den verachteten Figuren und Gegenständen in gleicher Weise zu hängen schien. Als kritischer Mitarbeiter des Karl-May-Verlags lernte er Arno Schmidt kennen, der in seiner idiosynkratischen Studie „Sitara“ Karl May als Schöpfer gründlich durchsexualisierter Landschaftsbilder analysierte. Eine psychoanalytische Biografie des Bestsellerautors wurde dann Wollschlägers erstes Buch. Mit Ausdauer, Wucht und in voller rhetorischer Rüstung attackierte er in weiteren Schriften das Christentum, was sich dann doch eher wie ein Kampf gegen Windmühlen ausnahm.

Als Schüler, wenn nicht Jünger Arno Schmidts hat man ihn lange begriffen. Und so recht trat er für die Öffentlichkeit erst aus dem Schatten des Meisters, als er Mitte der Siebziger als gefeierter Übersetzer von James Joyce’ „Ulysses“ in den Schatten eines noch Größeren trat. Daneben arbeitete Wollschläger unermüdlich an einer alternativen Karl-May-Edition, widmete dem Dichter und Übersetzer Friedrich Rückert lange Jahre eigener Herausgebertätigkeit. Seit ein paar Jahren sammelt eine Werkausgabe im Wallstein-Verlag wieder ein, was lange entlegen oder verstreut war. Als Zwischending zwischen Holzweg und Hauptwerk jedoch figuriert unter den so vielseitigen Arbeiten Wollschlägers einziger, an E.T.A. Hoffmann ebenso wie an Joyce – und allerlei anderen Meistern und Geistern – geschulter Roman „Herzgewächse“. Von dieser weit ausgreifenden Stimmenpartitur erschien ein erster Band und nie der lange angekündigte zweite.

Vor einigen Jahren schrieb Hans Wollschläger in einem großen Artikel über nichts Geringeres als das Unding des Todes. „Sein Dasein allein“, heißt es da, „lässt einem derart die Luft wegbleiben, dass die Wörter nicht mehr von der Zunge kommen.“ Auf diese Ankündigung folgt eine große Philippika, ein atemberaubendes Anreden gegen des Menschen Sterblichkeit. Im Pathos des Einspruchs gegen das Unabwendbare fand Hans Wollschläger noch einmal jene Fallhöhe, die seine grollende Rhetorik zum Leuchten und Blitzen brachte. Am Samstag ist Hans Wollschläger 72-jährig nach langer Krankheit gestorben.