Was Terroristen wollen

Die Harvard-Politologin Louise Richardson beschreibt den Terrorismus als Kommunikationsform und vertraut auf die Kraft abgeklärter Aufklärung

Die wichtigste Devise, sagt Richardson, bleibt auch im Kampf gegen den Terror die alte strategische Weisheit: Kenne deinen Gegner

Louise Richardson weiß, was Terroristen wollen. So jedenfalls – „What Terrorists Want“ – lautet der Titel des neuen Buches der in Harvard lehrenden Politologin, das sie in einem Vortrag mit anschießender Diskussion im Berliner Einstein-Forum vorstellte. In der Tat versprach Richardson nicht zu viel. In präzise zergliedernden Analysen machte sie klar, dass Terroristen weder irrational noch unberechenbar sind. Mit den Mitteln der kühlen wissenschaftlichen Vernunft lassen sich Motivlagen bestimmen und aus den Erkenntnissen auch Schlüsse ziehen für den Kampf gegen den Terror.

Terrorismus, so Richardson in provokanter Zuspitzung, ist eine Kommunikationsform. Egal welche primären ideologischen Motive sie antreiben, drei Dinge sind es, auf die Terroristen stets zielen: Rache, Ruhm und Reaktion. Daraus folgt: Je heftiger die Reaktionen ausfallen, desto erfolgreicher ist eine terroristische Operation. Und daraus folgt wiederum: Die Bush-Regierung hat in ihren Reaktionen auf den 11. September falsch gemacht, was nur falsch zu machen war. Indem sie einen „Krieg gegen den Terror“ ausrief, hat sie den Islamisten genau das gegeben, was sie suchten: eine Reaktion nämlich, die den mörderischen Anschlag in seiner Bedeutung fast maßlos steigerte – und damit Gelegenheit zu Ruhm und Rache im großen Maßstab.

Mit dem Einmarsch in den Irak haben die USA diese Bühne dann noch einmal vergrößert. Es kommt dazu, betonte Richardson, dass ein solcher „Krieg“ überhaupt nicht zu gewinnen ist. Alles, was zu leisten sei im Kampf gegen den Terror, ist die „Eindämmung“ der Gefahr. Polizeiliche und geheimdienstliche Maßnahmen und das Beharren auf der eigenen Zivilisiertheit seien dazu allemal die bessere Taktik, als der islamischen Gemeinschaft durch barbarisches Verhalten immer weiteren Anlass zur Solidarisierung zu bieten. Von Abu Ghraib, prophezeite Richardson, wird sich der Ruf der USA noch auf Jahrzehnte hinaus nicht erholen.

Die wichtigste Devise bleibe auch im Kampf gegen den Terror die alte strategische Weisheit: Kenne deinen Feind. Wahrscheinlich sollte man Richardsons Begriff „enemy“ aber gar nicht erst mit „Feind“, sondern gleich mit Gegner übersetzen. Um den Carl Schmitt’schen Begriff des absoluten Feinds geht es der Liberalen Richardson gerade nicht. Der Terrorismus sprengt nicht den hegenden Rahmen der existierenden politischen und polizeilichen Konventionen. Die Überreaktionen nach dem 11. September findet Richardson verständlich, darum aber um nichts weniger falsch. Niemals nämlich werde der Gegner im Hass, der blind zurückschlägt, kenntlich, sondern immer nur im aufgeklärten Blick, der ihm seine eigene Rationalität zubilligt.

Jedenfalls eine Rationalität im Einsatz der verwendeten Mittel. Die stets simplifizierenden Weltbilder der Terroristen gelte es zu analysieren, aber nicht, wie es die US-Regierung freilich tendenziell tue, spiegelbildlich zu reproduzieren. Nüchtern betrachtet sei aber die instrumentelle Vernunft von Selbstmordanschlägen gar nicht zu leugnen. Mit dem Einsatz minimaler Mittel werden dabei maximale Effekte erzielt. Für die Attentäter geht es um Nachruhm auf Postern und längst auch auf Webseiten. Das Martyrium für die eigene Sache als Weg des Fanatikers zum Popstar-gleichen Ruhm.

„American Voices“ nennt sich die Reihe, in der Richardson auftrat. In europäischen Ohren klang, was sie zu sagen hatte, wie die hell tönende Stimme liberaler Vernunft. Das im Einstein-Forum versammelte Publikum betrachtete Richardsons resoluten Gang durch all die in unseren Gefilden weit offen stehenden Türen denn auch sichtlich mit Wohlgefallen. Und doch wurde an Inhalt wie Art und Weise ihres Argumentierens geradezu exemplarisch auch die spezifische Blindheit auf- und abgeklärter Rationalität sichtbar: Für die real existierende Irrationalität der handelnden Akteure zeigt sie nichts als blankestes Unverständnis. Dem, womit nicht zu rechnen ist, begegnet sie hilflos. Die Weltgeschichte ist dabei nicht unbedingt auf ihrer Seite: Pure Vernunft hat selten gesiegt.

EKKEHARD KNÖRER