: Frostbeule in Sorge
Vor dem WM-Auftakt in Melbourne fürchtet Langstreckenschwimmerin Britta Kamrau-Corestein keine Haie, sondern herbstliche Temperaturen
Von ANDREAS MORBACH
Am vergangenen Wochenende ist Britta Kamrau-Corestein zusammen mit den anderen deutschen Langstreckenschwimmern in Melbourne gelandet. Die leise Hoffnung auf einen warmen australischen Spätsommer war allerdings rasch verflogen. „Doch schon recht frisch hier, es geht stramm auf den Herbst zu“, berichtet die 27-Jährige schicksalsergeben. Denn selbstverständlich weiß die selbst ernannte „Frostbeule“ auch schon, was sie am kommenden Sonntagvormittag beim WM-Auftakt der Ausdauerschwimmer erwartet: „17 bis 19 Grad im Wasser.“ Dabei akzeptiert Kamrau-Corestein eigentlich nur Wassertemperaturen „ab 22 Grad und aufwärts“. Vor den fünf Kilometern am St. Kilda Beach ahnt die Frau von der Ostsee: „Da werde ich mal wieder kämpfen müssen.“
Zumal das Meer vor Melbourne nicht nur kaltes Salzwasser zu bieten hat: Die in dieser Weltregion bekannten Schauergeschichten über hungrige Haie und unangenehme Feuerquallen kannten die DSV-Athleten schon, ehe sie gestern auf der WM-Strecke zum ersten Mal die Zehenspitzen ins Wasser steckten. „Bei den Haien verlasse ich mich einfach darauf, dass uns jemand vor ihnen schützen wird“, sagt Kamrau-Corestein, „doch bei den Feuerquallen scheint mir die Gefahr schon realistischer.“
Wirklich realistisch allerdings ist vor allem eine Gefahr: Dass die Rostockerin nicht wie geplant wenigstens einmal auf dem Siegerpodest stehen wird. Denn seit es die Langstreckenschwimmer nach zähem Ringen schließlich doch noch ins olympische Programm geschafft haben, ist die Szene in Wallung geraten. „Titelkämpfe auf diesem hohen Niveau hat es bei uns bislang noch nicht gegeben“, stellt sich Kamrau-Corestein bei ihrem Komplettprogramm mit Starts über 5, 10 und 25 Kilometer auf eine extrem harte Konkurrenz ein. Und zudem hat sich Kamrau-Corestein, Weltcup-Gesamtsiegerin des Vorjahrs, wie die restliche Dauerkraul-Elite auch speziell für die mittlere Distanz getrimmt. Denn allein auf der 10-km-Strecke, auf der sie 2003 in Barcelona den WM-Titel gewonnen hatte, werden beim Olympia-Debüt im nächsten Jahr in Peking Medaillen verteilt.
Immerhin, frohlocken die Langstreckler. Schließlich waren sie in der Vergangenheit vom Internationalen Olympischen Komitee immer wieder vertröstet worden. Und das nicht zuletzt wegen der mitunter chaotischen Zustände im eigenen Betrieb, wo schon mal ein Weltcup-Termin aus heiterem Himmel verschoben wurde. Oder wo die Organisatoren, wie 2004 bei einem Rennen in der Bucht von Haikou, bei ihren Planungen mal eben die Meeresströmung außer Acht ließen. In China wären dem Weltverband (Fina) damals beinahe seine Schwimmer abhanden gekommen, erst nach zehn Stunden machte ein Fina-Delegierter dem Drama ein Ende und brach das Rennen ab.
Mit derart haarsträubenden Anekdoten können die Wasserballer, Kunst- und Turmspringer und Synchronschwimmerinnen, die in Melbourne ab Samstag das Vorprogramm für die Titelkämpfe der Bahnenschwimmer (25. März bis 1. April) bestreiten, zwar nicht aufwarten. Dafür sind im DSV-Lager zumindest die Springer ähnlich optimistisch wie die Langstreckenschwimmer, die mit Kamrau-Corestein, Angela Maurer, Thomas Lurz und Christian Hein mehrere Edelmetallkandidaten am Start haben. „Eine Medaille mehr als bei der letzten WM vor zwei Jahren in Montreal“ lautet die forsche Vorgabe von Bundestrainer Lutz Buschkow an seine Kunstspringer. Was für folgsame Sportler bedeuten würde: Aus drei mach vier.
Längst von drei auf vier angewachsen ist der Lurz-Clan aus Würzburg, seit Stefan Lurz die 200-m-Freistil-Spezialistin Annika Lurz, geborene Liebs, im vergangenen Sommer geheiratet hat. Seine Gattin trainiert Stefan Lurz inzwischen ebenso wie seinen Bruder Thomas, der am Sonntag als einer der großen Favoriten auf die 5-km-Strecke geht. Papa Peter Lurz überwacht das Ganze als verantwortlicher DSV-Referent für Langstreckenschwimmen.
Keinen solchen Clan im Hintergrund hat Kamrau-Corestein. „Mein Vater und meine Mutter“, sagt die angehende Juristin, „haben mit Sport nicht viel zu tun.“ Und so sitzt bei Kamraus Rennen oft ihr Ehemann Augusto Corestein als Aufpasser und Mutmacher im Begleitboot. Geheiratet haben die beiden im Oktober 2005, aber auch der Argentinier, selbst ein ehemaliger Langstreckenschwimmer, konnte ihr nicht weiter helfen mit ihrer Kälteempfindlichkeit. „Ich habe viel Leidvolles über mich ergehen lassen“, erinnert sie sich, „mich in eine Badewanne mit eiskaltem Wasser gelegt, bei 8 Grad eine halbe Stunde lang in der Ostsee geschwommen – es hat alles nichts geholfen.“ Am Sonntag kann sich die Frostbeule nur selbst helfen.