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Archiv-Artikel

Die Stadt ist ein Garten

WACHSTUM Klaus von Krosigk sorgt als Gartenbaudirektor von Berlin für blühende Landschaften. Ein Spaziergang im Tiergarten

„Es ist bedauerlich, dass die meisten Menschen den Kontakt zur Natur verloren haben“

KLAUS VON KROSIGK

VON ALEM GRABOVAC

Zum Spaziergang durch den Berliner Tiergarten erscheint Klaus von Krosigk in einem dunklen Anzug mit einer schwarz-braun-gestreiften Krawatte und tadellos glänzenden Lederschuhen. Seine klassisch-elegante Garderobe fügt sich nahtlos in einen Park ein, der von einer bis ins 16. Jahrhundert zurückreichenden höfisch-aristokratischen Gartenarchitektur geprägt wurde. Klaus von Krosigk ist 65 Jahre alt und als Gartenbaudirektor zuständig für die Erhaltung und Pflege von 600 Berliner Gartendenkmälern.

Über eine Brücke gelangen wir zur Luiseninsel mit ihren klaren und symmetrischen Blumenbeeten. „Sehen Sie“, sagt er begeistert, „dieser Platz steht ganz in der Lenné’schen Tradition von Schmuck- und Blumenanlagen, die durch ihre Mannigfaltigkeit den Betrachter überraschen sollen. Und uns ist es gelungen, diesen jahrhundertealten Platz durch wissenschaftlich-historische Methoden 1987 wieder genau zu rekonstruieren und aufzubauen. Wir haben dafür sogar den originalen roten Granit, der zum Bau des Königin-Luise-Standbildes verwendet wurde, aus Schweden importiert.“

Es ist ein schöner Frühlingstag. Ein Eichhörnchen huscht durch die Baumkrone einer uralten Linde, die Amseln knistern im Gebüsch, Wasserwege schlängeln sich verwunschen durch den Park, der Rhododendron blüht rosafarben, und ein Graureiher wartet bewegungslos am Rand eines Sees auf sein nächstes Opfer. Für Klaus von Krosigk ist der Tiergarten ein Park, dessen Kultur- und Naturlandschaften man wie ein Buch lesen kann. Von Krosigk erzählt, dass der Tiergarten vor 500 Jahren ein eingezäuntes Gehege gewesen sei, in dem die Kurfürsten auf Jagd gegangen sind. Für ihn als Gartenhistoriker werde es allerdings erst so richtig spannend, referiert er weiter, als Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff 1740 von Friedrich dem Zweiten den Auftrag bekam, den Tiergarten in einen öffentlichen Park nach französischem Vorbild umzubauen. Knobelsdorff verschönerte den Park durch schmucke Alleen, ornamentale Hecken, weitläufige Wasserwege, spätbarocke Labyrinthe und Figuren aus der antiken Mythologie. In den darauffolgenden Jahrzehnten veränderten der Hofgärtner Justus Ehrenreich Sello und Peter Joseph Lenné den Park im Sinne des englischen Landschaftsideals. Im Gegensatz zum Barockgarten französischer Prägung mit seinen geometrisch exakten Formen sollte das englische Modell die Schönheit einer natürlichen Landschaft widerspiegeln. „Hier zum Beispiel sehen Sie die von Sello am Ende des 18. Jahrhunderts angelegte Rousseauinsel, die eine Nachbildung des Grabmals Rousseaus im Park zu Ermenonville bei Paris ist. Jean-Jacques Rousseau wurde ja unter anderem mit seinem Schlachtruf ‚Zurück zur Natur‘ berühmt, der sich aufklärerisch gegen die absolutistischen Macht- und Gesellschaftssysteme der damaligen Zeit richtete. Gartenarchitektur hat eben auch viel mit Philosophie zu tun.“

Wir flanieren weiter durch den Tiergarten. Hoch oben im Himmel kreist ein Mäusebussard, ein altes Paar sitzt auf einer Bank und genießt die Stille inmitten der hektischen Millionenstadt. Klaus von Krosigk erläutert, man könne es sich heute gar nicht mehr vorstellen, dass der Tiergarten nach dem Zweiten Weltkrieg nahezu völlig zerstört gewesen sei. Die Menschen brauchten das Brennholz für die klirrend kalten Nachkriegswinter. Nur 800 Bäume hätten diesen Kahlschlag überlebt. Der älteste Baum sei eine 350 Jahre alte Eiche beim Haus der Kulturen der Welt, unter der im Sommer wahrscheinlich schon Friedrich der Zweite mit seiner Gemahlin ein wenig Schatten suchte. Wir kommen an einer alten und mächtigen Buche vorbei. Wir bleiben vor der Buche stehen. Von Krosigk sagt: „Das ist einer der Bäume, die den Zweiten Weltkrieg überlebt haben. Diese Buche ist bestimmt schon 250 Jahre alt. Welch eine Form und Statur. Das ist doch anbetungswürdig.“

Aus diesen Worten spürt man die Leidenschaft, mit der Klaus von Krosigk sein Metier der Gartendenkmalpflege betreibt. Sein Vater war Förster und hat ihn schon als Kind mit in den Wald genommen und ihm die Natur erklärt. Aufgewachsen ist er in Paderborn. In den Siebzigern studierte er Gartenarchitektur und Gartengeschichte in Hannover und gründete 1978 das erste Fachreferat für Gartendenkmalpflege in Berlin. Für über hundert Schlossgärten, Villen und Parkanlagen hat seine Abteilung Restaurierungskonzepte entwickelt und gemeinsam mit den Bezirksämtern auch verwirklicht. Klaus von Krosigks unermüdlicher Einsatz hat in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass es heute in Berlin wieder eine weltweit beachtete Gartenkultur gibt. 2002 erhielt er dafür das Bundesverdienstkreuz.

Eines der größten Probleme für die Erhaltung von Gartendenkmälern sei die nicht angemessene Fremd- und Übernutzung durch unachtsame Parkbesucher, Musikkonzerte und politische Demonstrationen aller Art. „Es ist bedauerlich, dass die meisten Menschen den Kontakt zur Natur verloren haben. Zur Zeit der Loveparade auf der Straße des 17. Juni war es besonders schlimm. Aber das ist mittlerweile, trotz Fußball-Fanmeile und anderer Veranstaltungen, wieder besser geworden.“ Und auf meine Frage, was er denn von all den Ausflüglern, Joggern, Prostituierten und nächtlichen Homosexuellentreffpunkten im Tiergarten halte, antwortet er amüsiert: „Ach, wissen Sie, der Tiergarten war schon immer ein Ort für Außenstehende. Er lag ja jahrhundertelang vor den Toren der Stadt. Bereits im 19. Jahrhundert haben sich Homosexuelle und Liebespaare zum Tête-à-tête im Park getroffen. Daher kommt ja auch der Ausdruck bis in die Puppen, denn die Liebespaare haben sich beim Großen Stern mit seinen antiken Figuren – im Volksmund Puppen genannt – getroffen, und das Stelldichein hat eben des Öfteren bis spät in die Nacht gedauert. Nein, der Tiergarten war schon immer ein multifunktionaler Ort. Es kommt allein auf die richtige Durchmischung an.“

Nichtsdestotrotz würde er sich für den Tiergarten ein Parkmanagement nach dem Vorbild des New Yorker Central Park wünschen. Dort werden ganze Teilabschnitte monatelang für die Öffentlichkeit gesperrt, damit sich die Natur erholen kann.

Nach eineinhalb Stunden sind wir wieder am Ausgangspunkt in der Nähe der Luiseninsel angekommen. Bleibt nur noch die Frage, ob Berlins oberster Chefgärtner eigentlich einen eigenen Garten hat? Klaus von Krosigk lacht und sagt: „Nein, da bin ich ganz Stadtmensch. Ich besitze einen Balkon, auf dem ich gerade in den Farben Berlins rote Geranien und weiße Fleißige Lieschen angepflanzt habe.“