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Archiv-Artikel

„Israel ist Israel, die gehen nicht weg“

Was man, wenn man nur will, bei einem Coiffeur in Berlin-Neukölln so alles über Integration lernen kann

Guckt er heute wirklich eingetrübt? Ist Karim mal nur zum Schein aufgeräumter Laune in dem Salon, in dem er nahe dem Hermannplatz arbeitet? Man sollte wissen: Das ist das Viertel, in dem jeden Tag sehr wenig Karneval der Kulturen gelebt, aber dem Leben als solchem Stunde für Stunde das Beste und auch Anstrengendste abgerungen wird, so etwas wie Ankommen und Einfinden und Fremdfühlen und Bekanntmachen in einem. Karim, mein Frisör, 22 Jahre, seinem Alter entsprechend eine extrem akkurate Gelskulptur auf dem Kopf, was sich wohl Look oder Frisur nennt, mag ich sehr.

Seit Monaten erzählt er von seinem Deutschunterricht, seine Frau necke ihn immer, nun sei er schon neun Monate in Deutschland, sie, als Ex-Palästinenserin, habe Deutsches schon nach sieben Monaten lesen können. Und wie er sich empören kann. Über die Lehrer, die ihn und seine Mitschüler nicht korrigieren, wenn sie das „der die das“ verwechseln. Und wie übel es wäre, nicht gefordert zu werden.

Sechs Tage die Woche arbeitet er in diesem Salon, in einem Vorort von Beirut war er schon als Putzmeister beschäftigt, aber ohne Ausbildung, also ohne Papiere. Jetzt in Deutschland schuftet er sich Tag für Tag die Hände ab, um, wie er sagt, „meine Familie glücklich zu machen“. Jetzt gibt er zu: „Ja, meine Tante lebt in Libanon, in ihrem Lager wird geschossen. Das haben ja nicht mal die Israelis gemacht.“ Schneidet ultrasoft die Konturen und fährt fort: „Neulich fuhr ich über Rot. Hielt mich die Polizei. 200 Euro. Scheiße, ja. Aber dann habe ich bezahlt, die waren freundlich. Dem Polizisten habe ich einen Brief geschrieben und danke gesagt. So nett. Über Rot fahren geht ja auch nicht.“

Wir wechseln seit Neuestem hin und wieder private Mitteilungen, frisörtypisch, ein psychotherapeutisches Setting mit Haarspray quasi, Puderstaub und Gelspuren. So sagt Hakim: „Ich war in Ramallah, war ich Palästinenser. Dann in Libanon, das war mein Land. Aber nur scheiße Politik. Überall Islam. In meinem Koran steht: Schließe Frieden mit den Menschen. Israel ist Israel, die gehen nicht weg.“

Ich schwöre beim Leben aller Überirdischen, dass Hakim bis jetzt garantiert weniger Artikelfehler gemacht als ich selbst: Er hat sprachlich etwas Erlesenes an sich. Schneidet weiter, leichte Neigung zur Komposition meiner Haare zur Vokuhila, aber hochkonzentriert. Und spricht: „Ich will nichts mit Politik zu tun haben. Meine Frau ist Deutsch, ich hoffentlich auch bald. Meine Tochter lacht und lacht und hat keine Angst vor all den Männern mit den Knarren in den Lagern von Libanon.“ Denn die wollten immer „nur, was Arafat wollte oder die Fatah. Mein Glaube ist nicht politisch, ich will hier bleiben und meine Ruhe haben.“

Er, der sonst mit Anmut wenig erzählt, redet weiter. Kürzlich habe er sich an eine Frisörakademie gewandt. Gefragt, ob er eine Lehre machen kann, sein Chef hier am Hermannplatz unterstützt das unbedingt, mit den Männersalons weiter unten an der Sonnenallee hat er nichts zu tun, den Läden, in denen Frauen ohne Kopftuch alles wuschig machen und recht eigentlich unerwünscht sind, selbst bei Kurzhaarschnittwünschen. Man wünscht dem Manne, zwei Söhne, eine resolute Frau, auch ihm, dass er nicht Schutzgelder bezahlen muss, wie man so hört, einer, der ins Viertel gehört und nicht einen auf Opfer-Ethnie macht. Hakim aber kommt zum Ende: „Der Mann von der Akademie hat gesagt, solche Männer wie mich braucht man, fleißig und deutschsprechend.“

Seine Miene ist noch leicht verdunkelt, „ich glaube, ich fahre nach Libanon und gucke mir an, wie es da aussieht. Die Welt könnte schön sein, wenn unsere arabischen Politiker endlich aufhören zu träumen von Ländern, die sie nicht mehr kennen.“

Hakim weiß, dass ich Gel im Haar nicht ausstehen kann, aber er schmiert und salbt und macht aus einem Militaryschnitt eine bizarre Haarplastik auf meinem Kopf. Gleich geht er zur Deutschstunde, in zwei Monaten hat er Prüfung: „Ich schreibe nur Einsen, und beim Lesen gab’s auch mal eine Zwei. Wir gucken zuhause nur noch deutsches Fernsehen. Pro 7. Super Sender.“

JAN FEDDERSEN über PARALLELGESELLSCHAFT

Haare geschnitten? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH