: Ende und Anfang der Mythenmonster
An diesem Wochenende dreht sich das Nachtleben-Karussell gehörig: Das Rio, Inbegriff des Crazy-Club-Berlin, macht zu. Erst mal. Das Sternradio, Überbleibsel des Rave-Berlin, macht auch zu. Endgültig. Nur der Tresor macht auf. Wieder
„Ich habe gehört, dass auf der vorerst letzten Party Marilyn Manson auflegen soll. Solche Gerüchte lasse ich immer offen. Man weiß nie, was aus ihnen wird.“ Conny Opper, einer der fünf Betreiber des Rio, mag das positive Potenzial solchen Klatsches. Gerüchte und Mythen sind für ihn ein wesentlicher Teil des Nachtlebens. Und das Rio auf der Chausseestraße ist trotz seiner erst jungen Geschichte ein Mythenmonster. Im April feierte der „Rio e.V. – Verein der Freunde und Förderer zeitbasierter Medienkunst“ seinen 4-jährigen Geburtstag. Am Samstag muss er allerdings vorerst schließen.
Conny Opper erklärt: „Es war von vornherein nur eine temporäre Zwischennutzung. Nun scheint es, als habe der Besitzer einen Investor gefunden, das Gebäude wird abgerissen.“ Das Aus fürs Rio? „Nein, es ist klar, dass es für uns weitergeht. Berliner Clubkultur hat immer so funktioniert, dass man von einem Ort zum nächsten zieht. Siehe Cookies oder WMF.“
Konzeptionell konnte man das Rio als eine Art Nachfolger der sagenumwobenen Galerie Berlin-Tokio sehen, die in den 90ern Kunst und Nachtleben zusammenbrachte. Es entsprach vorbildhaft der Folie des hiesigen Nachtlebenmythos: immer im Ruf der Illegalität, immer kurz vor der Schließung. Als Underground-Treff und internationale Stylefabrik hatte es in den letzten Jahren einen großen Anteil an der Innen- und der Außenwahrnehmung der Stadt. Es zelebrierte nicht mehr den harten Technosound der Industrieruine, sondern einen neuen, dreckigen Glamour. Ein Glamour, der allwöchentlich skandinavische Style-Touristen einfallen ließ, die zusammen mit anderen Hipstern der Selbstinszenierung und dem Pop frönten.
Viele noch unentdeckte Acts hatten in der Chausseestraße ihr Deutschlanddebüt. Zuletzt das französische Label Ed Banger mit seiner Mischung aus Headbanging und Clubsound. Die schottische Band Franz Ferdinand drehte hier ein Video, und Electroclash wurde hier praktisch erfunden. Das Rio war ein Ort, an dem man sich Oberflächlichkeiten mit der nötigen Albernheit hingeben konnte. Und an dem kein Techno-DJ viele Stunden lang auflegte, sondern wo ein genialer Dilettanten-Wahnsinn inszeniert wurde. „Es war uns nie wichtig, dass ein DJ mixen musste“, sagt Conny Opper. „Wir wollten auch ein wenig Leichtigkeit ins Nachtleben bringen.“
Das soll so weitergehen. Für die Betreiber gibt es weder einen Grund, am Konzept herumzubasteln noch in die Ferne zu schweifen. „Wir suchen eine Location in Mitte. Es ist uns wichtig, sich nicht an den Stadtrand drängen zu lassen.“ Ein anderer Club in Mitte zelebriert an diesem Wochenende auch den Anfang seines Endes, aber seines definitiven: Der kleine Technoclub Sternradio feiert am Alex seinen letzten Geburtstag. Den Juni hindurch gibt es noch Programm, bis am 7. 7. nach sieben Jahren die Tür endgültig geschlossen wird.
Karin Mertin, eine der vier Clubbetreiber, reflektiert: „Wir haben uns hier ziemlich ausgepowert und konnten das Konzept nicht mehr am Leben halten. Es ging uns immer darum, jüngeren DJs eine Plattform zu geben. Bei uns spielen zwei DJs eine komplette Nacht lang, von 23 Uhr bis 9 Uhr morgens. Das ist für viele eventverwöhnte Gäste zu wenig. Nicht nur die Touristen, die mittlerweile die Hälfte des Ausgehpublikums ausmachen, gehen lieber zu den großen Namen feiern.“ Die konnte sich der kleine Club für 250 Leute nicht mehr leisten.
Das Sternradio schaffte es deshalb nicht, auf der Profi-Minimal-Techno-Welle von Watergate, Berghain und Weekend mitzuschwimmen, bei der es lange nicht mehr nur um den Rave an sich geht. Während das Rio neue Konzepte für die Nacht suchte und fand, baute „das Sterni“, wie es von Freunden genannt wird, auf den 90er-Technomythos. Vielleicht wirkte der Rave der TänzerInnen in Camouflage und Buffalos zuletzt ein wenig nostalgisch. Aus dem Mythos war im Sternradio ein Alltag geworden, der vom Rest des Mitte-Nachtlebens nicht mehr gern gesehen wurde. Aber die Raver werden nun wohl einfach ein paar Meter weiterziehen, in den neuen Tresor, gestern in den Hallen eines alten Kraftwerks eröffnet und voll mit Mythen – zum Beispiel Sven Väth hinter den Turntables und viel viel Industrieruinenplatz. TIMO FELDHAUS
Die am alten Ort letzte Rio-Party findet am Samstag statt. Der 7. und letzte Sternradio-Geburtstag wird Freitag und Samstag gefeiert. Der neue Tresor soll von Freitag bis Sonntag geöffnet haben