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Archiv-Artikel

Intensive Kälte

Richard Yates war in den 60er-Jahren ein amerikanischer Kultautor. Dann wurde er vergessen, doch Richard Ford hat ihn wieder ausgegraben. Kunstvoll filetiert er den Alltag

Schon der erste Satz von „Easter Parade“ ist gnadenlos: „Keine der Grimes-Schwestern sollte im Leben glücklich werden.“ Aber noch lässt man sich von Richard Yates’ leichtfüßiger Sprache täuschen. Die fließt dahin und nimmt den Leser mit, ohne große Ansprüche an ihn zu stellen. Richard Ford hat ihr einmal eine „bedingungslose Zugänglichkeit“ attestiert. Wir gleiten also in die USA, hier in die späten 30er-Jahre hinein und lassen uns bis in die 60er-Jahre mittragen.

Sarah ist zunächst neun, Emily fünf Jahre alt. Die Mutter unternimmt erste Emanzipationsversuche und betätigt sich als Immobilienmaklerin in diversen Vorstädten. Erfolglos, aber irgendwie schlägt sie sich mit ihren Töchtern durch. Der Vater schreibt Überschriften für die New York Sun. Die Eltern leben getrennt. Sie ist Republikanerin, er Demokrat. Und er, immer er ist der imaginäre Fluchtpunkt für die Schwestern. Die Fixierung auf den unerreichbaren Mann und die Last einer Mutter, die dem Hausfrauenleben zu entfliehen sucht und über ihr Streben nach „Flair“ vergisst, Interesse für ihre Töchter aufzubringen – das ist die Hypothek, mit der die Mädchen klarkommen müssen. Der Autor hat es uns bereits gesagt: Sie werden es nicht hinkriegen.

In den Romanen von Richard Yates wird viel getrunken. Rasender Stillstand im engen Gehäuse der Kleinfamilie, wo jeder jeden daran hindert, mit sich selbst in Kontakt zu kommen. Der 1926 geborene Yates, der in den 60er- und 70er-Jahren Kultstatus insbesondere bei Intellektuellen genoss, leuchtet jenes klaustrophobische Universum aus, ohne es zu privatisieren. Stattdessen entwirft er ein gesellschaftliches Psychogramm und schreibt stur gegen den amerikanischen Traum an. Die Krux ist immer wieder die Einhegung eigentlich friedfertiger Personen in fatalen Geschlechterrollen – so steht der mal freundliche, mal gewalttätige, immer aber ignorante Mann seiner in sich haltlosen Frau fremd gegenüber, was diese nicht davon abhält, ihre Wünsche in brutaler Naivität wieder und wieder auf ihn zu projizieren. Und das, obwohl es in den USA vergleichsweise liberal zuging – auch Frauen konnten erwerbstätig sein, vielfach Sex haben und früher oder eben später heiraten.

Prüderie ist bei Yates auch nicht das Problem. Sondern die stete Verfehlung von Mann und Frau, die unhintergehbar von der Konvention zum Zusammenleben verurteilt sind. Freunde als Lebensinhalt, das ist noch nicht vorstellbar. Insofern aus Frauenperspektive die Alternative zum Mann die Einsamkeit ist. Das muss auch Emily erfahren. Sie, die viel Sex, noch mehr Männer und durchaus Freude an beiden, aber keine einzige Freundin hatte, opfert ihrer Hoffnung auf ein Leben an der Seite eines Mannes ihre einzige tiefer gehende Bindung: die an ihre Schwester. „Sie stellte fest, dass Sarah bisweilen ein interessantes Gesprächsthema abgab. ‚Ich habe eine Schwester, die andauernd von ihrem Mann geschlagen wird‘, sagte sie dann.“ Genussvoll schlachtet sie die grausame Unterwerfung der großen Schwester unter das Sakrileg der Ehe zu Selbstdarstellungszwecken aus. „Wenn sie so mit einem Mann sprach – für gewöhnlich betrunken, für gewöhnlich spät nachts –, bereute sie es später zutiefst; aber es war nicht schwer, ihre Schuldgefühle zu beschwichtigen, indem sie sich schwor, es nie wieder zu tun.“ Mit seinem Sarkasmus, der am Ende des Satzes für gewöhnlich jede zu Beginn geschürte Hoffnung tilgt und den Lesern mit seiner kalkulierten Boshaftigkeit vielfach ein trockenes Auflachen entlockt, führt Yates die Gewalttätigkeit von weiblichen Lebensentwürfen vor, deren Protagonistinnen ihr Selbstwertgefühl allein aus der Männern abgerungenen Aufmerksamkeit schöpfen. Satz für Satz fährt er diese Idee von Leben gegen die Wand. Denn zweifellos gehört seine ganze Liebe ebenjenen trostlosen Frauenfiguren.

INES KAPPERT

Richard Yates: „Easter Parade“. Aus dem Amerikanischen von Anette Grube. DVA München 2007, 304 Seiten, 19,95 Euro