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Archiv-Artikel

„Wir fragen Russland nicht um Erlaubnis“

Der tschechische Vizepremier und Europaminister Alexandr Vondra über den geplanten US-Raketenschutzschild, das Verhältnis Tschechiens zu den USA, Russland und Deutschland und seine Skepsis gegenüber einer gemeinsamen EU-Außenpolitik

INTERVIEW SABINE HERRE

taz: Herr Vondra, Russlands Präsident Putin hat bei der Münchner Sicherheitskonferenz nachdrücklich vor dem Bau eines US-amerikanischen Raketenabwehrsystems in Ihrem Land, in Tschechien, und in Polen gewarnt. Seitdem fürchtet Europa ein neues Wettrüsten.

Alexandr Vondra: Vladimir Putin hat in München eine verbale Bombe fallen lassen. Er kennt Deutschland und die öffentliche Meinung hier sehr gut, und so wusste er genau, wie er eine Debatte auslösen kann. Tatsächlich jedoch sind die Pläne für ein Abwehrsystem der USA nicht neu. Seit den 80er-Jahren wird darüber diskutiert. Schon seit 2002 gibt es Konsultationen zwischen Prag und Washington. Der Raketenschutzschild ist nicht gegen Russland gerichtet.

Aber Russland und auch westliche Staaten klagen, dass sie über die Pläne von Washington nicht informiert wurden.

Das stimmt nicht. Die USA haben Russland informiert, das Raketensystem war sogar Thema des Russland-Nato-Rats, und beim Nato-Gipfel in Riga ist eine Studie dazu vorgestellt worden. Weitere Konsultationen werden folgen, wir wollen eine umfassende Debatte. Aber ich möchte auch feststellen, dass Russland kein Recht hat, die europäische Sicherheitspolitik zu bestimmen, und wir werden Russland daher auch nicht um Erlaubnis fragen, ob wir das Radarsystem bauen dürfen.

Warum erlauben Sie den USA, Ihr Land für den Bau eines Raketenabwehrschirms zu benutzen?

Seit Beginn des Kalten Krieges hat Europa immer die USA um Hilfe gebeten. Und selbst in den 90er-Jahren, während der Balkankriege, immer mussten die USA helfen, europäische Probleme zu lösen. Ich denke, jetzt ist Europa einmal dran. Und da ist noch ein anderer Punkt: Das in den 80er-Jahren diskutierte Rakatenabwehrsystem hätte allein die USA geschützt, das jetzige soll ganz Europa vor Angriffen aus dem Mittleren Osten schützen. Wenn wir den Bau ablehnen, besteht die Gefahr, dass das Problem wieder renationalisiert wird, also wieder nur den USA zugute kommt.

Erwarten Sie eine Gegenleistung von den USA?

Wir Mitteleuropäer wünschen, dass die Nato und die USA in Europa engagiert bleiben. Das ist kein Austauschgeschäft.

Es gibt also keine Forderung nach Aufhebung der Visapflicht für Tschechen für die USA?

Nein, es gibt hier keine Verbindung, wenngleich die Visapflicht natürlich dennoch endlich aufgehoben werden sollte.

Viele Europäer verstehen nicht, warum Sie bilateral mit den USA verhandeln und nicht in Rahmen von EU oder Nato.

Natürlich wäre es gut, wenn das Abwehrsystem zu einem Nato-Projekt würde, denn schließlich sind die Kosten dafür ziemlich hoch. Andererseits verstehe ich die Aufregung der Europäer oder auch der Deutschen nicht. Auch die US-Basen in Deutschland wurden aufgrund bilateraler Verträge errichtet. Warum sollten wir uns anders verhalten?

Zeigt die jetzige Debatte nicht, dass die EU endlich eine gemeinsame Verteidigungspolitik braucht? Dass die EU-Verfassung schnell verabschiedet werden muss?

Wir brauchen eine europäische Politik, aber Gerede oder Institutionen helfen uns nicht viel. Die tschechische Regierung ist nicht der Ansicht, dass die EU sich in einer Krise befindet. Wir sind durchaus handlungsfähig und daher sollten wir bei der Verfassung nichts überstürzen. Geschwindigkeit sollte nicht vor Qualität gehen. Natürlich wäre es sinnvoll, einen gemeinsamen EU-Außenminister zu haben, die Jobs von Außenkommissarin Ferrero-Waldner und von Solana zusammenzulegen. Dadurch könnte man auch viel Geld sparen. Aber: Ist es dieser kleine Gewinn wert, Großbritannien, Polen oder auch die Türkei und die Ukraine zu verlieren? Wir wollen, dass die Verfassung Europa zusammenhält und nicht trennt.

Die Tschechische Republik will eine Erweiterung der EU und warnt vor der Vertiefung. Doch wenn Prag, Warschau oder London jede engere Zusammenarbeit in der Außenpolitik blockieren, werden einige Staaten irgendwann genug davon haben und als „Pioniergruppe“ den anderen „voranschreiten“.

Glauben Sie das wirklich? Dann wird diese Gruppe vielleicht die immer wieder angemahnte einzige Telefonnummer haben, aber keiner wird sie anrufen. Im Übrigen ist die Tschechische Republik in der EU nicht so isoliert, wie manche glauben. Uns verbindet viel mit Deutschland, wenn es zum Beispiel um Handelsfragen, Energiepolitik oder Verkehrsregulierungsfragen geht oder auch beim Kampf gegen eine höhere Biersteuer. Aber wir brauchen auch Großbritannien. Für die Sicherheitspolitik vor allem. Deutschland ist ein bisschen zu pazifistisch und ein wenig zu nachgiebig gegenüber Russland.